Uff!

Büchnerpreis: Fast entschuldigend nimmt der Literaturbetrieb die Entscheidung für Alexander Kluge auf. Dabei darf man über sie doch vor allem eins sein: erleichtert

Schön, wenn sich alle freuen. Zumal es ja auch wirklich einfach eine gute Idee ist, Alexander Kluge den Büchnerpreis zu geben. Etwas allerdings lässt in den – durchgehend positiven – Reaktionen der Feuilletons auf diese Entscheidung aufmerken, es gibt da einen kleinen bedenkenträgerischen Schatten, den man doch zumindest mit Argumenten ausräumen zu müssen meint.

Diese dunkle Stelle lässt sich zusammenfassen in der Frage: Ja, dürfen die das denn? Darf die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mit Deutschlands renommiertestem Literaturpreis einen Intektuellen würdigen, der sich um Gattungs- und Mediengrenzen nicht schert? Alexander Kluge ist schließlich auch Kinomacher und Fernsehmensch, einer, der mit Lust und Neugier auf die Möglichkeiten neuer Medien reagiert. Der Schatten, den das wirft, hellt sich zwar in allen aktuellen Reaktionen bald wieder auf. Allein schon, dass er da ist, zeugt aber vom strukturellen Konservatismus unseres Literaturbetriebes.

Es herrscht in den schnellen Würdigungen an manchen Stellen nämlich ein beinahe entschuldigender Ton vor: Seht, neben allerlei Sperenzien ist er eben doch auch ein Literat – wenn auch ein merkwürdiger, der zwischen Fiktion und Realität nicht recht zu unterscheiden weiß! Zur Defensive aber besteht kein Anlass. In den vergangenen Jahren hielt die Akademie im Wesentlichen nur zwei Arten von Schriftstellern für preiswürdig: verdiente Altavantgardisten (Friederike Mayröcker, Volker Braun, H. C. Artmann) und poetelnde Langsamkeitsentdecker (Arnold Stadler, Sarah Kirsch). Dahinter verbirgt sich ein ebenso altehrwürdiger wie Staub ansetzender Literaturbegriff. Fast möchte man „Uff!“ sagen, so erleichtert kann man sein, dass die Akademie ihn nun zumindest relativiert. Die Entscheidung für Kluge hat etwas Öffnendes.

Nenn es erweiterter Literaturbegriff, nenn es Dokumentarliteratur, nenn es, wie du willst; jedenfalls steht Alexander Kluge für jenes Genre der „Bücher ohne Familiennamen“ (Michael Rutschky), die in den vergangenen Jahren die wirklich aufregenden Leseabenteuer bereitgestellt haben – von Walter Kempowski über W. G. Sebald bis hin zu Stephan Wackwitz und Gerhard Henschel. Es gibt vieles, was diese Autoren trennt. Eins eint sie: der Impuls zur literarischen Realiendurchdringung. Hieran hat übrigens auch die deutsche Popliteratur angesetzt, bevor sie sich einreden ließ, eine Generationenkiste zu sein. Insofern durfte die Entscheidung für Kluge nicht nur fallen; er wurde Zeit, dass sie endlich fiel. Sie lässt sich als, wenn auch verspätete Anerkennung für die produktivste Spielart der Literatur lesen, die wir gerade haben.

Gibt es Hoffnung dafür, dass die Akademie aus den Mauern ihres Literaturbegriffs hinausgefunden hat? Mal weiterbeobachten. Immerhin scheint sich etwas zu bewegen. In seiner viel beachteten Studie zur Popliteratur hat es der Germanist Moritz Baßler noch als Utopie analysiert, dass ein Autor wie Max Goldt einmal den Büchnerpreis bekommen könnte. Von Kluge bis Goldt ist es noch ein großer Schritt. Aber diese Utopie ist mit der aktuellen Entscheidung ein wenig näher gerückt. DIRK KNIPPHALS