Gezeichnet vom Rauschgift

Neue CD-Editionen erinnern an die Ursprünge des Rebetiko als Blues der griechischen Unterschichten

Ihr Milieu war die Halbwelt der größeren Städte Griechenlands, ob Volos, Piräus oder Thessaloniki. Dort lungerten sie in den Kneipen und Haschischspelunken der Hafenviertel herum oder auf den Straßen. Manche waren Dockarbeiter, doch das war eher selten. Normalerweise arbeiteten sie nicht, denn bürgerliche Tugenden waren verpönt. Das Leben kreiste um die Wasserpfeife, das Haschisch, die Mädchen und das Glückspiel. Man ließ sich treiben – ohne Plan.

Die Welt der „Rebetis“ oder „Mangas“ (Spitzbuben, Tagediebe), wie sie im Slang der Unterwelt hießen, war eine Subkultur, die sich durch ihre Haltung, Kleidung und ihr Benehmen bewusst von der Gesellschaft abgrenzte. Man schlug sich durch, mehr schlecht als recht, mit Kleinkriminalität wie Schmuggel, Drogenhandel, Diebstählen, Hehlerei oder Zuhälterei bzw. anderen illegalen Geschäften. Das funktionierte leidlich, solange die Polizei ihnen nicht in die Quere kam. Dann konnte es zu Kämpfen kommen, denn das Messer saß locker. Der Schritt von der Halb- in die Unterwelt war klein und der Weg ins Gefängnis kurz.

So ungefähr lautet das Credo des Heldenepos, das vom griechischen Rebetiko (oder auch Rembetiko) erzählt wird. Es sind Geschichten, die das „lässige“ Leben der gesellschaftlichen Außenseitern aus den 1920er- und 30er-Jahren feiern und damit auch verklären und idealisieren, weil man sich – damals wie heute – gern mit solchen Randexistenzen identifiziert, bringen sie doch etwas Würze in unsere eigene schale Existenz. Gelegentlich zerreißt allerdings der Schleier der Mythologie, und der Blick auf die Realität wird frei. Dann zeigt sich: Ganz so unbeschwert war die Wirklichkeit auch wieder nicht. Hinter den Haschischwolken und all dem herzzerreißenden Pathos tut sich eine ambivalente Welt auf, die nicht nur hedonistisch, ausschweifend und abenteuerlich war, sondern auch brutal, frauenverachtend und angeberisch, und an deren Ende oft das ganz schäbige Elend stand: der Tod in der Gosse.

Der berühmte Sänger Anestos Delias (alias Artemis) brachte es im Lied „O Ponos tu Prezakia“ (Der Schmerz des Junkies) 1934 schonungslos auf den Punkt: „Erst schnupfte ich, dann kam ich auf die Nadel, und mein Körper begann sich langsam aufzulösen. Oh, hast du mich fertig gemacht, Heroin! Nichts bleibt mir auf der Welt mehr zu tun, nachdem mich das Rauschgift auf der Straße sterben lässt.“ Das war nicht literarisch gemeint, sondern krude Realität. Neun Jahre später war Artemis, kaum 39-jährig, nicht mehr am Leben. Ausgezehrt vom Rauschgift, fand man ihn tot auf der Straße.

Die Rebetiko-Musik war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als neuer urbaner Stil entstanden, als Massen von Einwanderern und Migranten in die Vorstädte der griechischen Städte strömten. Nicht geklärt ist, woher das Wort stammt. Die türkische Wortwurzel „rembet“ (aus der Gosse) scheint die naheliegendste Erklärung zu bieten.

1922 bekam die Rebetiko-Musik einen zweiten Schub. Nach dem verlorenen Krieg gegen das Osmanische Reich, der „Katastrophe von Smyrna“, erhielt der Stil eine zusätzliche Dosis orientalischer Einflüsse, als weitere 1,3 Millionen Flüchtlinge sich in die Elendsviertel und Barackensiedlungen der großen Städte niederließen – ihre Musik im Notgepäck. Piräus blähte sich in sechs Monaten um die doppelte Einwohnerzahl auf. Der einzige Kontakt der Flüchtlinge bestand zu den unteren Gesellschaftsschichten der Einheimischen, wobei Musiker beider Lager ausgiebig von einander borgten. In Gebrauch waren Instrumente wie die Langhalslaute Busuki (der türkischen Saz verwandt), die kleine Baglamas-Gitarre, das Sandouri-Hackbrett und die Geige, die alle zusammen dem Stil den charakteristischen Saitenklang verliehen.

Im Rebetiko vermischten sich die verschiedene Einflüsse des östlichen Mittelmeerraums zu einer wahrhaft multiethnischen Musikform. Damit stand der Stil quer zu den Vorlieben der griechischen Oberklasse, die ihren Geschmack eher nach Wien und Europa ausrichtete. Unter der Militärdiktatur von Ioannis Metaxa, die 1936 begann, kam die Rebetiko-Musik unter Druck, was das Ende der klassischen Phase bedeutete. Der Hitler- und Goebbels-Bewunderer ging gnadenlos gegen alle „asozialen“ Elemente vor. Das Milieu der Rebetis wurde zum Parasitensumpf erklärt und trockengelegt. Alles Unangepasste sollte verschwinden. Die Haschischlieder wurden verboten. Der Stil sollte zur „anständigen“ Unterhaltungsmusik zurecht gebogen werden, was viele Musiker in die innere Emigration trieb.

Erst in den 50er-Jahren kam die Rebetiko-Musik zurück. Entschäft und verwässert stieg sie zum allgemeinen Volksliedgut in Giechenland auf, doch damit war der alte Elan dahin. Nie mehr erreichte die Musik die Expressivität und Vitalität der Vorkriegsjahre. Diese wird nun von einer neuen Generation, in liebevoll editierten CD-Editionen, wieder entdeckt. CHRISTOPH WAGNER

Elias Petropoupos: „Rebetiko: Die Musik der städtischen Subkultur Griechenlands“ (Buch mit CD). Palmyra-Verlag 2002, 139 Seiten, 15 Abbildungen„Rembetika – Songs of the Greek Underground 1925–1947. Trikont US-293 (Doppel-CD mit ausführlichem Booklet)