zwischen den rillen
: Verfeinertes Prankstertum: Gonzales goes Big Time

Leck mich, Pop!

In der Pariser Fnac-Filiale an der Bastille stapelt sich die CD unter den Top-Import-Releases für den Monat Mai. Links Madonna, in der Mitte Blur, dann kommt Gonzales. „Z“ steht auf dem Cover, das mit der grob gerasterten Fotografie eines Schnauzbartträgers, der verschwitzt zwischen euphorischen Fans langschleicht, an die schwarzweiß kopierten Fanzines von früher erinnert. Oder an den Dernier Cri von Electroclash-Ästhetik, die in Paris zum kulturellen Lifestyle passt.

Tatsächlich kann man sich die sexgesättigte Musik von Gonzales ganz gut auf Modenschauen vorstellen. Mannequins mit vorstehenden Hüftknochen staksen zu klar getaktetem 4/4-House in Dior-Bikinis über den Laufsteg, ab und zu eine fesche Pose, das dürre Ärmchen in die Seite gestemmt, das linke Bein auf sektkelchspitzen Plateaus eingeknickt. Stroboskoplichter flackern, der Sound versuppt in sirenenhaften Disco-Samples, irgendwie fett und superlecker produziert das alles, und am Ende kann sich ohnehin kaum jemand den Luxus der teuren Klamotten leisten. Aber wenigstens die Platte, und darum geht es ja auch bei der Musik von Gonzales: mit geringen Produktionsmitteln die Wunschmaschine anwerfen, vom Underground aus an der Popspirale drehen, bis es quietscht. Let’s entertain, das hier ist schließlich Paris.

Oder Berlin. Dort nämlich hat der kanadische Rap-Prankster und ausgewiesene Barpianist Gonzales die letzten fünf Jahre gelebt, hat für das Kitty-Yo-Label rumpeligen Besenkammer-HipHop veröffentlicht und mit „Presidential Suite“ letztes Jahr eine Laptop-Variante von Lounge herausgebracht. Weil er zwischendurch in den britischen Charts war, konnte sich Kitty-Yo ein größeres Büro leisten. Irgendwer hat zum Sound von Gonzales auch mal „Werbermusik“ gesagt, das war noch Anfang des Jahrtausends, als in Berlin zwischen Start-up und Fashion-Design alles ging – schluffige Kraut-Beats à la Gonzales inklusive.

Doch der Ruhm von Mitte verweht allmählich. Deshalb ist es erstaunlich, dass „Z“ in Zeiten der Rezession und einer Rückkehr zum big Ernst noch einmal voll auf Rock-’n’-Roll-Swindle setzt. Party-Trash in seiner Dancefloor-Vollendung, an den Mischpulten von Hollywood mit dem Überschwang diverser Kokainnasen veredelt. Ein Best-of-Album aus umfrisierten Gonzales-Klassikern soll „Z“ sein, weil dem Meister bei der Arbeit an einer neuen Platte immer nur wieder die „alten“ Melodien von Welt in den Sinn gekommen sind. So weit das Eigenlob des Komponisten, der sich mit „Z“ von Berlin verabschiedet hat, vermutlich Richtung Broadway oder einem multinationalen Major-Label.

Nun gut, Relaunch kann jeder. Gonzales hat sich jedoch nicht für endlos nervende Remixe entschieden, er hat viel mehr Variationen seiner gut ein Dutzend Beinahe-Hits eingespielt, bei denen man gar nicht so sehr an die knarzigen Originale denkt, sondern sich an barocken Schnörkeln und Blue-Note-Nostalgie freut. Es ist auch nicht wirklich wichtig, ob „Why don’t we disappear“, vor drei Jahren ein sprödes Balladengeschepper mit wackeligem Frauensingsang, in der Neufassung mit einem geflüsterten „Pianissimo“ beginnt und danach halbverminderte Vierklänge mit einem Unisono der Geigen kreuzt. Das errechnet heute jede Billig-Software, dafür braucht es keinen Mozart.

Die Besonderheit von Gonzales lag allerdings schon immer in der Übertreibung, mit der er sich zum Connaisseur des Betriebssystems Musik stilisierte, auch wenn am Ende oft bloß ein bisschen Zitat-Spaß in F-Minor zu hören war. Hier kannte sich einer aus und sagte: Leck mich, Pop! Dieser Schabernack ist auf „Z“ geblieben, hat sich allerdings vom stumpfen Computer-Strick zur Haute Couture in Sachen Arrangements verfeinert. Die Songs sind gespickt mit schicken High-Tech-Applikationen, sie reichen von eleganten Slidegitarrenloops bis zum Hintergrundknistern abgewetzter Chansonplatten, die für Gonzales stets zur Skala seiner Personality-Revue gehörten. Nur wenn er rappt, klingt es weiter schwer nach Eminem. Aber das wird noch, mit der Zeit. Warum sonst hätte Gonzales mit dem sechzigjährigen Wiener Old-School-Crooner Louie Austen „Let’s groove again“ einsingen sollen? Ruhm wasn’t build in a day, das gilt für Popstars aus Wien und erst recht für Berliner Verhältnisse. Trotzdem hat Gonzales eins mit Madonna und Blur gemeinsam: Die Marke stimmt.

HARALD FRICKE

Gonzales: „Z“ (Kitty-Yo/Zomba)