„… alles nur dummes Zeug!“

Interview KATHARINA KOUFEN

taz: Herr Bofinger, die Europäer sind sich so uneins wie selten, der Stabilitätspakt wackelt – aber der Euro steigt und steigt. Wie passt das zusammen?

Peter Bofinger: Der Euro steigt, weil das gerade der Trend ist. Und das Einzige, was man zuverlässig über Wechselkurse sagen kann, ist, dass sie, wenn sie erst mal einen Trend in die eine oder andere Richtung haben, ihn auch über längere Zeit beibehalten.

Und wie kommt so ein Trend zustande?

Das ist wie mit einer In-Kneipe: Ein paar Leute fangen an, in eine bestimmte Kneipe zu gehen, und dann gehen da immer mehr Leute hin. Wenn dann der In-Kneipier immer teurer wird, kommt irgendwann ein Punkt, wo das kippt und die In-Kneipe durch eine andere In-Kneipe ersetzt wird.

Auf die Börse übertragen: Die Händler haben also wenig Vertrauen in ihre eigene Einschätzung und rennen nur den anderen hinterher?

Nein, es ist für einen Börsenhändler schlichtweg falsch, sich auf die eigene Urteilsfähigkeit zu verlassen. Es ist einfach falsch! Als Weinhändler zum Beispiel kaufe ich auch nicht den Wein, der mir am besten schmeckt, sondern den, von dem ich annehme, dass er den anderen Leuten in ein paar Jahren am besten schmeckt. Den kann ich dann nämlich teuer weiterverkaufen.

Die Eurostärke ist also rein spekulativ und von Erwartungen geprägt ?

Nur! Wenn Sie sich anschauen, wie sehr die professionellen Analysten danebenlagen: In der Abwertungsphase haben sie gedacht, er wertet bald auf. Als die Aufwertung kam, haben sie die Aufwertung unterschätzt. Die ganzen Banken, wie die danebenlagen! Diese ganzen hohen Gehälter – da fragt man sich, wo ist die Kompetenz. Schon 1999 konnte man sehen, dass die Blase platzen würde. Aber die Banken sind einfach ungebremst an die Wand gefahren.

Wenn wir mal zurückdenken: Vor zweieinhalb Jahren war der Euro auf einem Tiefstand …

… damals war der Euro auf einem Abwärtstrend. Das war genau genommen schon seit April 1995 so, seit damals war der Dollar auf dem Aufwärtstrend, und dieser Trend hat sich fortgesetzt. Der Euro hat den Abwärtstrend von den einzelnen Landeswährungen geerbt. Sicher auch noch verstärkt durch psychologische Faktoren wie den, dass der Euro für alle eine Fremdwährung war.

Was hat dann die Trendwende gebracht?

Die EZB hat interveniert. Im November 2000 war dann der tiefste Punkt, und der ist nie mehr unterschritten worden.

Aber die Intervention der EZB, die die Trendwende gebracht hat, ist ja schon mehr als zwei Jahre her. Es muss jetzt doch andere Erwartungen geben, weshalb Anleger zurzeit den Euro bevorzugen?

Ich glaube, dass da die Einführung des Eurobargelds 2002 eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Leute konnten den Euro plötzlich anfassen, haben gemerkt, den gibt es ja wirklich.

Hoch bezahlte Analysten begründen die Euroaufwertung damit, dass die Wachstumsaussichten in Europa mittelfristig besser sind als in den USA.

Das glaube ich nicht. Die Aufwertung des Euro ist nachteilig für uns; wenn die Europäische Zentralbank die Zinsen nicht senkt, ist es ebenfalls nachteilig. Und leider ist die Fiskalpolitik bei uns nicht so pragmatisch wie in den USA. Dort geben die ja richtig Vollgas, sie verteilen Steuergutscheine und so. Die Wirtschaft in den USA ist zwar instabiler – aber dafür viel dynamischer.

Denken wir aber trotzdem noch mal zurück an die Argumente, die damals für die Euroschwäche angeführt wurden: Der Stabilitätpakt müsse strikter eingehalten werden, hieß es …

… das war alles nur dummes Zeug! Wenn ein Trend erst mal etabliert ist, dann trifft ein, was man in der Psychologie als Framing bezeichnet: eine selektive Wahrnehmnung, die die Faktoren ins Bild rückt, die zu dem Trend passen.

Welche Faktoren sind das momentan zum Beispiel?

Jetzt passt zu unserem Bild vom starken Euro, dass die USA ein massives Defizit in ihrer Leistungsbilanz haben.

Aber die Amerikaner haben doch seit Jahren ein hohes Leistungsbilanzdefizit.

Das passte aber nicht ins Bild, als die ganzen Experten, Analysten, Devisenhändler das Bild eines starken Dollars bzw. schwachen Euros im Kopf hatten. Da hat man das Leistungsbilanzdefizit eben ignoriert.

Solche Fundamentaldaten spielen also gar keine Rolle?

Nein. Das ist zwar schwer zu akzeptieren, wenn man sieht, welchen Aufwand Leute betreiben, um den Eurokurs fundamental zu erklären. Aber auch umgekehrt trifft das zu: 2000 war das wirtschaftlich beste Jahr für Europa. Und trotzdem befand sich der Euro im Abwärtstrend. Für Wechselkurse gilt: Je weniger man über Fundamentaldaten nachdenkt, desto sicherer ist man.

Heißt das, man kann den Euro-Stabilitätspakt in der Pfeife rauchen? Er basiert ja auch auf Fundamentaldaten, wurde als Anker für den Euro eingerichtet.

Das war ohnehin keine gute Idee, den Stabiliätspakt auf den Euro und seinen Wechselkurs zu beziehen. Ursprünglich sollte er vor allem Inflation verhindern. Jetzt sieht man aber: Die Länder mit den höchsten Defiziten haben die niedrigsten Inflationsraten. Die Logik des Stabilitätspakts ist auf den Kopf gestellt.

Wie kommt das?

Die Schöpfer des Paktes dachten, Länder machen Inflation durch Staatsdefizite. Das ist aber falsch. Das gilt nur für Länder mit absoluten Riesendefiziten. Der Zusammenhang ist umgekehrt: Länder mit einer schwachen Wirtschaft haben hohe Defizite und eine niedrige Inflationsrate. Insofern kann man den Stabilitätspakt tatsächlich vergessen.

Keine Dreiprozentgrenze mehr, kein Plan zum Schuldenabbau?

Nein, es gibt doch gar keinen Grund, die Schulden abzubauen. In einer Zeit, wo die Aktienkurse sinken und die Banken immer unsicherer werden, brauchen wir noch ein paar sichere Geldanlagen. Wenn die Staatsschulden bei null sind, können Sie Ihr Geld nur noch in Aktien und Unternehmensanleihen anlegen – Telekom und so. Wir können froh sein, dass der Staat mit seiner Verschuldung – also Staatsanleihen – eine sichere Anlageform bietet.

Was also tun?

Man muss darauf achten, dass in den einzelnen Ländern der Mix aus Geld- und Fiskalpolitik stimmt. Das Problem ist, dass Länder mit einer schwachen Nachfrage wie Deutschland die niedrigste Inflation und die höchsten Realzinsen haben. Umgekehrt haben die Iren z. B. eine hohe Inflation und niedrige Zinsen. In der Währungsunion besteht also ein Trend zur Selbstverstärkung. Die kann man nur durch eine gegenläufige Fiskalpolitik in den Griff kriegen. Der Staat darf also nicht in der Krise auch noch sparen. Das Problem ist, dass die EZB immer nur eine Durchschnittspolitik machen kann. Das ist, wie wenn man eine europäische Durchschnittstemperatur angeben müsste und man sagt, 25 Grad, dabei hat es in Helsinki nur 12 Grad und in Neapel 32.

Und das Dreiprozentziel? Komplett über Bord werfen?

Ich würde das als Orientierungsmarge beibehalten, weil es dazu führt, dass die Gesamtverschuldung prozentual zum Gesamtprodukt der Wirtschaft nicht wesentlich steigt.

Aber man könnte doch sagen, statt „nur drei Prozent Neuverschuldung“ senkt man die Neuverschuldung um ein halben Prozentpunkt oder so. Das berücksichtigt die wirtschaftliche Entwicklung besser.

Warum soll man die Neuverschuldung überhaupt senken? Wir haben im Moment eine massive Nachfrageschwäche. In dieser Nachfrageschwäche wollen wir auch noch das Defizit zurückfahren – das ist falsch! Warum brauchen wir einen ausgeglichenen Haushalt?