Im Namen Gottes

Im „Dialog mit dem Islam“ hat sich ein bedenklicher Kulturrelativismus entwickelt. Das System der Einschüchterung von Kritikern durch Islamisten wird hingenommen

Die Frage stellt sich, ob Recherchen zu Tode geklagt werden und somit die Pressefreiheit bedroht ist

Im Februar 1989 verhängte der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini eine Todesfatwa gegen Salman Rushdie, Autor der „Satanischen Verse“. Chomeinis Begründung: Das Buch beleidige Allah und damit alle Muslime. Von diesem Zeitpunkt an war nicht nur Rushdie selbst in Gefahr, auch Verleger, Buchhändler und Übersetzer seines Werkes mussten weltweit um Leib und Leben fürchten. Dass die „Satanischen Verse“ trotz aller Gefährdungen weiterhin in deutscher Sprache erschienen, war der Initiative einiger hundert deutschsprachiger Intellektueller und Verlage zu verdanken. Sie schlossen sich zu einem Herausgeberkreis zusammen und trugen das durchaus tödliche Risiko der Publikation gemeinsam. Es war ein mutiger Akt zur Verteidigung der Freiheit der Wortes, bei der die Frage, ob Rushdie tatsächlich Gläubige beleidigt haben könnte, nachrangig war.

Wäre im Jahr 2003 in Deutschland eine vergleichbares Engagement denkbar? Dies ist eine hypothetische Frage, da es einen vergleichbaren Fall heute nicht gibt. Trotzdem sei an dieser Stelle eine Antwort gewagt – sie lautet: Nein! Der Grund liegt in einem bedenklichen Kulturrelativismus, der sich in den letzten Jahren im Kontext des gesellschaftlichen Großprojekts „Dialog mit dem Islam“ entwickelt hat. Nicht die Verteidigung der Aufklärung und Pressefreiheit steht heute ganz oben auf der Agenda, sondern folgende Haltung gewinnt an Bedeutung: Wer die religiösen Gefühle der Muslime verletzt und diese herausfordert, ist selbst schuld, wenn er sich deren Zorn zuzieht.

Journalisten, die den Furor von Radikalgläubigen auf sich ziehen, werden einsam. Mit einer breiten Unterstützung sollten sie nicht rechnen. So fehlte nahezu jegliche öffentliche Anteilnahme, als ein Spiegel-Redakteur 1999/2000 über Monate von fanatisierten Gläubigen beschimpft und sogar mit dem Tode bedroht wurde. Das Magazin hatte gegen das koranische Bilderverbot verstoßen und ein Gemälde aus dem 19. Jahrhundert abgedruckt, das den Propheten Mohammed zeigt.

Als im Februar 2001 muslimische Tugendwächter gegen die taz Sturm liefen und zu einem Boykott aufriefen, ließ das die Öffentlichkeit weitgehend kalt. Anlass des Konflikts war der Satiretext „Mullahs immer klüger“ auf der Wahrheitseite. Er endete mit dem harmlosen Kinderreim „Allah ist groß, Allah ist mächtig, er hat einen Arsch von drei Meter sechzig“, was die Empörten als Blasphemie werteten.

Selbstredend sind Boykottaufrufe oder E-Mail-Aktionen legitime Formen des Protestes, solange sie auf physische Gewalt oder deren Androhung verzichten. Nachdenklich stimmt aber, wenn selbst aufgeklärte Zeitgenossen meinen, in einer interkulturellen Gesellschaft sei künftig auf solch säkulare Provokation zu verzichten. Bezeichnenderweise würden sich dieselben Personen eine vergleichbare Einmischung christlicher Kreise in die Weltensicht verbitten.

Die Einzelfälle haben sich zu einem System der Einschüchterung verdichtet. Bundesweit versuchen Islamisten durch organisierten Protest, Einfluss auf unliebsame Berichterstattung zu nehmen. So gelang es ihnen bereits, die Ausstrahlung kritischer Sendungen im Fernsehen zu verhindern. Und Journalisten scheuen inzwischen häufiger als in der Vergangenheit vor Recherchen im islamistischen Milieu zurück. Sie fürchten die drohenden Folgen, die von Psychoterror bis hin zu langwierigen Rechtsstreitigkeiten reichen können.

Neuestes Opfer ist der Eichborn Verlag. Vor zwei Wochen untersagte das Berliner Landgericht Berlin auf Antrag der dortigen Islamischen Föderation den weiteren Vertrieb von Udo Ulfkottes Buch „Der Krieg in unseren Städten. Wie radikale Islamisten Deutschland unterwandern“ (Rezension siehe taz, 28. 4). Der Rechtsstreit geht um die darin erhobene Behauptung, die Islamische Föderation sei ein Landesverband der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs. Auf den Verlag rollt eine Prozesslawine zu, da verschiedene muslimische Vereine, Organisationen, Firmen und Privatpersonen gegen das Buch klagen. Für Eichborn-Verleger Peter Wilfert ist klar: „Unter Zuhilfenahme erlaubter Mittel wird systematisch Druck aufgebaut, um missliebige Berichte zu zensieren.“

Der Autor soll, so ist zu hören, nach mehreren Morddrohungen unter Personenschutz stehen. Laut einem Medienbericht hat Ulfkotte die Waffen getreckt und will sich nicht mehr gegen die eingereichten Klagen zur Wehr setzen. Seine Begründnung: „Selbst wenn ich alle Verfahren gewinnen würde, müsste ich jahrelang prozessieren.“

Der Fall wiegt schwer. Und er sollte, unabhängig von den letztgültigen Wahrheiten, zumindest die Frage aufwerfen, ob hier ein Autor in Bedrängnis gerät und eine unliebsame Recherche zu Tode geklagt werden soll, folglich die Pressefreiheit bedroht ist. Um so irritierender ist, dass der „Fall Ulfkotte“ den meisten Zeitungen nur wenige Zeilen wert war, eine öffentliche Debatte oder gar Beunruhigung so gut wie nicht stattfindet.

Journalisten, die den Furor von Radikalgläubigen auf sich ziehen, werden einsam

Natürlich kann man es sich im „Fall Ulfkotte“ einfach machen und sagen: Die Islamische Föderation Berlin hat lediglich ihr legitimes Recht wahrgenommen und damit einen Beweis ihrer gesellschaftlichen Integration geliefert. Auch folgende Lesart bietet sich an: Mit der einstweiligen Verfügung des Berliner Landgerichts verschwindet ein Machwerk vom Markt, das irrationale Ängste gegen Muslime schürt, das schwer nachvollziehbare Bild einer globalen islamistisch-terroristischen Verschwörung zeichnet und Rassismus Vorschub leistet.

„Der Krieg in unsere Städten“ ist das falsche Buch über ein richtiges und wichtiges Thema. Seine Mängel haben wir in dieser Zeitung bereits hinreichend aufgezeigt. Dennoch wäre der „Fall Ulfkotte“ eine weitere Gelegenheit, zu debattieren, wo die Grenze zwischen legitimem Widerstand gegen fehlerhafte Berichterstattung und Einschüchterung von Journalisten verläuft. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) ist bislang die einzige deutschsprachige Zeitung, die das Problem in seiner ganzen Tragweite erkannte. Sie sieht eine „schleichende Auszehrung der journalistischen Neugier“, die die Pressefreiheit gefährde (NZZ, 16. 5.). So müsse etwa jeder, klagt der Fernsehjournalist Rainer Fromm, der sich mit Milli Görüs befasse und mit Personen oder Organisationen, die damit in Zusammenhang gebracht werden, mit einer Flut von Unterlassungsklagen rechnen. „Vor allem für freie Autoren stellt sich die Frage, ob sie diesen Zeitaufwand sich leisten wollen und ob sie sich das finanzielle Risiko leisten können“, so Fromm.

Zumindest in Berlin ist die von Fromm gestellte Frage beantwortet. Dort scheuen inzwischen Journalisten aller Redaktionen die Berichterstattung über die Islamische Föderation und deren Beziehung zu Milli Görüs. Diese Entwicklung erinnert Beobachter an die jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen dem Sektenkonzern Scientology und Journalisten. Heute erfährt die Öffentlichkeit kaum noch etwas über das Wirken dieser umstrittenen und mächtigen Organisation. EBERHARD SEIDEL