Noch ‘ne Geschichte

In „Ich fang noch mal von vorne an“ versteckt der Lesebühnenstar Ahne sein Talent hinter Ausschuss und Manierismen

Eine Rezension aus der Feder von Ahne würde wohl in etwa so anfangen: So jetzt muss ich dann wohl mal mich hinsetzen und muss was schreiben. Über dis, was ich grad gelesen hab. Was ein Buch von Ahne ist, und dis heißt „Ich fang noch mal von vorne an“. Klar, über was, was ich nicht gelesen hab, könnt ich ja gar nicht schreiben. Dis tät ich ja dann nicht kennen. Weil ich es nicht gelesen hätte. So aber hab ich es gelesen, und jetzt muss ich was drüber schreiben.

Nämlich dass es für einen bescheidenen Rezensenten zwar leicht ist, Ahnes aufdringliche Manierismen und selbstverliebten Spracheigenheiten zu imitieren, nicht aber dessen Talent. Letzteres im Bleibergwerk dieses Buches überhaupt zu finden, ist schwer genug. Aber das ist ja nun wirklich des Kritikers Job. Also: Schreiben kann er schon, der Ahne. Er kann witzig sein, unterhaltsam, kann mit seinen absurden Alltagsbeobachtungen genau ins Schwarze treffen. In seinen besten Momenten ist er eine männliche Sibylle Berg – nur ohne böse – und packt in zwei, drei knappe Sätze die Wahrheit des Absurden. Was er offensichtlich nicht kann, ist auswählen.

Ahnes Texte sind eine extreme Form der Gelegenheitsliteratur, das gilt sowohl für das Schreiben als auch für das Vortragen. Jede Lebenslage scheint ihm recht, um schnell eine Geschichte zu schreiben, mal mit Handlung, mal ohne, oft dreht sich die Sprache auch nur um die eigenen Klischees. Meist beginnen sie tatsächlich mit Ankündigungen wie: „So, jetzt muss ich mich aber mal hinsetzen und schnell eine Geschichte schreiben.“ Geschrieben wurden diese Geschichten, um an vielen verschiedenen Abenden in ausgelassener Stimmung einem wohlgesonnenen Publikum vorgetragen zu werden. Seit Jahren liest Ahne mit großem Erfolg bei den Surfpoeten und der „Reformbühne Heim & Welt“ in Berlin sowie in anderen Städten. Die Beschreibungen seiner Lesereisen sind denn auch am ehesten als Geschichten im eigentlichen Sinn zu erkennen, kann der Autor hier doch ausnahmsweise auf konkrete Lebenserfahrungen zurückgreifen.

Was aber in leichter Auswahl und vielleicht noch launisch vorgetragen sehr vergnüglich sein kann, wird in der Masse einer Sammlung unverdaulich, die auf annähernd dreihundert Seiten fast hundert Texte umfasst. Vielleicht hätte man sie als Abreißkalender veröffentlichen sollen, einen Text pro Tag. Das ergäbe wohl den rechten Leserhythmus und die Texte erhielten ihren Anspruch auf Anspruchslosigkeit zurück. Dann könnte man sich amüsieren, könnte den Kopf schütteln oder sich auch mal ärgern, und die abgerissenen Blättchen auf den nächsten Tag vergessen. Und manche von ihnen würde man wohl auch aufheben, weil sie so gut gefallen haben. Vielleicht um sie Freunden laut vorzulesen. Dann hätte man am Schluss einen netten kleinen Stapel mit den unnachahmlichen Miniaturen eines vielversprechenden jungen Autors.

Dann hätte man allerdings auch den Job eines anderen getan. Zwar hat Ahne sich gründlich bemüht, seine Texte von jeglicher tiefergehenden Bedeutung oder gar von Engagement freizuhalten. Das Buch als Ganzes aber ist nicht, wie es die Verlagswerbung meint, der gut bezahlte Hilfeschrei eines einsamen Mannes, sondern ein engagierter Aufschrei für die Rückkehr des Lektors.

SEBASTIAN DOMSCH

Ahne: „Ich fang noch mal von vorne an“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003, 265 Seiten, 8,90 €