Leb wohl, mein Liebling

Wo sich Raymond Schindler, Zigmund Fraud und Bolèmia Hetschel gute Nacht sagen und manchmal auch ein Bömbchen basteln: André Kubiczeks Berlinroman-Parodie „Die Guten und die Bösen“

von GERRIT BARTELS

Am Ende von André Kubiczeks Roman „Die Guten und die Bösen“ konstatiert der Kolumnist Börries Freiherr von Stammler in der ihm eigenen Wortwahl: Berlin hat mich gefressen. Diese Stadt will nur „in der Gegenwart vertrotteln“, weiß er, jedes Wort über sie ist verlorene Liebesmüh. Bevor er nach München abdampft, fällt ihm in seiner letzten Kolumne nicht mehr zu Berlin ein als die zwei schlichten Worte: „Die Stadt“.

Obwohl Börries Freiherr von Stammler nur eine Randfigur in „Die Guten und die Bösen“ ist, kommt ihm doch eine Art Schlüsselrolle zu. Sein vergeblicher Versuch, Berlins Untergang herbeizuschreiben und der Stadt so ein Denkmal zu setzen, bildet den Überbau für André Kubiczeks Roman, der vor allem eine Parodie auf Berlin ist, sozusagen ein Berlinroman zweiter Ordnung. Der Roman wirkt so aber auch, als hätte Kubiczek beim Schreiben alles drangesetzt, nicht das Schicksal des Freiherrn von Stemmler zu teilen. Bloß nicht an einem Berlinroman scheitern! Der Ruf ist schlecht, fast noch schlechter als der des Popromans! Und überall lauern die Klischees von Metropole und Moloch, von Glanz und Ranz – am besten also, man greift mit vollen Händen hinein und macht sich einen Jux draus.

Allein das vorangestellte Personenregister deutet an, wohin Kubiczeks Berlinreise geht. Neben Börries Freiherr von Stammler, der bei einer Wochenzeitung namens Die Zeitgeist arbeitet, finden sich dort beispielsweise Raymond Schindler, 30, Frührentner und schwarzarbeitender Privatdetektiv, Bolèmia Hetschel, 24, Redakteurin des Fernsehmagazins „Flashpixx“, Zigmund Fraud, 18, 120 Kilo schwer, Abwäscher im „Bamboomtown Shanghai“, oder auch ein gewisser Lord Nelson, 5, Wellensittich.

So wie diese Figuren heißen, so bewegen sie sich auch durch das Berlin der frühen Nullerjahre: als Karikaturen und Knallchargen. Die einen sympathische und manchmal originelle Existenzen mit Hang zum Revoluzzertum, die zwischen Mitte und Prenzlauer Berg ihren Hometurf haben. Die anderen unsympathische Medienmenschen, die in Charlottenburg zuhause sind. Und die Dritten Studentinnen, Politiker oder Universitätsangestellte als Wanderer zwischen den Ost-West-Welten. Sie alle kennen sich oder laufen sich mal zufällig, mal weniger zufällig über den Weg, ohne dass das von größerem Belang wäre: Eine wirkliche Geschichte, die von Anfang bis Ende durcherzählt werden will, gibt es nicht, dafür viele kleine Subplots, in denen Bücher in Auftrag gegeben und Bomben gebastelt und gelegt werden, in denen nach sogenannten Buschmännern gesucht wird, und in denen manchmal auch Liebe und Hass vorkommen. Noch wichtiger aber sind die Kulissen, die Szenekneipen, China-Restaurants, Altbauwohnungen oder S/M-Schuppen, die selbstverständlich auch alle einen Hau haben: Berlin ist, wo mein Aberwitz ist.

Kubiczek hat ein Gespür für Settings, geschickt setzt er seine zahlreichen Schnitte und führt immer wieder neue Figuren ein. Bis auf einen fast poetischen Aussetzer (eine kurze Liebesgeschichte) und ödeste Passagen über den Afrikapionier Holm von Prinz hält er seinen parodistischen Ton und Stil bis zum gar nicht bitteren Ende durch. Zusätzlich spielt er mit literarischen Muskeln. Hier ein bisschen Musil, dort ein bisschen Benn, hier ein bisschen Quatsch, dort natürlich Chandler, allerdings immer hart an der Grenze. Da ist von Sätzen die Rede, „die den alten Goethe im Grab rotieren lassen würden wie Spaghetti auf der Gabel“, au ja, oder es bollert ein Kühlschrank, „der mittlerweile so leer war, als habe er Bulimie“, o je, und da gibt es Füße, „die durch den Gin schwer geworden waren wie ein Drama von Robert Musil“.

Allerdings ist es die altbekannte Berlin-Leier, die Kubiczek hier spielt, nur plakativer, grotesker, lustiger, besser verpackt eben: der alte Westen, die neue Mitte, der trübe Osten, die Kulturschickeria, die Modernisierungsverlierer. Im Vergleich dazu war das Ostberlin der späten Achtziger in Kubiczeks Debüt „Junge Talente“ terra incognita und somit viel interessanter. Jetzt finden sich beim Auspacken nur die Guten, vorzugsweise die Ostler, weil sie sich zu wehren versuchen, und die Bösen, die Blender, die von nichts eine Ahnung haben, aber obenauf schwimmen. Das kann man schlicht nennen, das ist moralisch einwandfrei, das sollte man aber auch nicht zu sehr auf die Goldwaage legen: Vorsicht, noch ein Witz! That’s entertainment, und sehr gutes dazu, dahinter aber klafft die große Leere.

André Kubiczek: „Die Guten und die Bösen“, Rowohlt Berlin, 320 S., 18,90 €