Globale Gerechtigkeit leicht gemacht

Thilo Bode will die Welt retten – schnell und billig. Sein Programm: Ist das Klima in einer Region gefährdet oder die Artenvielfalt bedroht, dann werden die souveränen Rechte von Staaten beschnitten und wird notfalls einmarschiert. Dieser Ökofundamentalismus gefährdet Demokratie und Völkerrecht

von DETLEF GÜRTLER

Wie soll man jemand nennen, der die politischen Parteien als „Krebsgeschwür“ bezeichnet? Der die repräsentative Demokratie als „Kern des Übels“ sieht? Der bestreitet, dass „Demokratie sich von innen heraus erneuern kann“? Ganz egal ob er von rechts oder links, von oben oder von unten angreift – man sollte ihn gefährlich nennen. Insbesondere wenn er im Ruf steht, ein unerschrockener Kämpfer gegen das Unrecht in der Welt zu sein. „Die Demokratie verrät ihre Kinder“ heißt Thilo Bodes Buch. Heuchlerischer hätte der Titel kaum sein können. Denn Bode verrät die Demokratie.

Es ist eine gruselige Ideologie, die der langjährige Greenpeace-Manager verbreitet. Abgrundtiefe Verachtung für die repräsentative Demokratie, die politischen Parteien und alle Interessengruppen („Lobbykratie“) – bis auf die Guten natürlich, die Lobbyisten des Gemeinwohls, die NGOs: „NGOs sind per se legitimiert, ihre Interessen zu artikulieren und sich dafür einzusetzen.“ Aus dieser Kombination resultiert Bodes Patentrezept: „Unsere Demokratie muss vom Einfluss der Interessengruppen entschlackt, die Parteien müssen entmachtet werden, der Souverän muss wieder entscheiden.“ Bode propagiert nichts weniger als die Kapitulation der Zivilgesellschaft vor der Macht der Straße.

Derartiger Ökofundamentalismus hat Greenpeace von den ersten Aktionen an begleitet. Die kalkulierten Gesetzesbrüche wurden moralisch legitimiert: Das Überleben von Walen, Robben, Wüstenfüchsen steht auf dem Spiel – wenn der Rechtsstaat ihrer Rettung im Weg steht, ist das sein Problem, nicht unseres. Diese Argumentation hat ihren Charme, solange es um die Interessenvertretung von Underdogs geht: Tieren, Meeren, Südseeinsulanern. Doch sie verliert schlagartig jeden Glanz, wenn es um die Interessenvertretung von Overdogs geht. Und genau das unterscheidet Thilo Bode von Greenpeace: Er formuliert keine Robin-Hood-Ideologie, sondern eine George-Bush-Ideologie.

Am deutlichsten wird das, wenn Bode seine „Politik einer gerechten Globalisierung“ entwickelt. Sie beruht auf drei Säulen, geschmiedet aus den schönsten Verheißungen dieser Welt: „die Armut in der Welt besiegen, globale Sicherheit schaffen, die natürlichen Lebensgrundlagen schützen“. Doch mit dieser gerechten Globalisierung verhält es sich ungefähr so wie mit einem gerechten Krieg: Es wird sich keine Einigkeit darüber herstellen lassen, was gerecht ist und was nicht. Deshalb entscheidet am Ende derjenige, der die Macht hat. Schließlich ist es schon eine wahrhaft große Aufgabe, in einem Land wie Irak Menschenrechte und Demokratie durchzusetzen.

Ob Thilo B. oder George W. B., wer das erreichen will, stellt „die nationalstaatliche Souveränität bei Menschenrechtsverletzungen in Frage“, und das durchaus mit kriegerischen Mitteln. Bode mokiert sich darüber, dass in Europa „großes Unbehagen gegenüber einer rein militärischen Strategie gegen den Terrorismus“ herrsche – „das Fehlen einer Alternative entwertet jedoch diese Kritik“. Bode möchte „eine Politik, die nationale Souveränitätsansprüche in Frage stellt, wenn es sich um kollektive Güter der Weltgemeinschaft handelt“, um etwa „die Urwaldzerstörung durch Brasilien und Indonesien“ zu verhindern. Wenn also die Brasilianer ihren Regenwald platt machen wollen, schmieden wir die Allianz gegen den Ökoterror und machen Rio de Janeiro platt. So hässlich würde das ein Bode natürlich nie ausdrücken. Er schreibt: „Die Destabilisierung des Klimas und die Bedrohung der Artenvielfalt verletzt auch die Menschenrechte, weil sie die Existenz von Menschen weltweit unmittelbar bedroht. Die Einschränkung nationaler Hoheitsrechte ist somit aus völkerrechtlicher Perspektive völlig legitim.“

Doch, darüber kann man reden. Wenn klar ist, wer denn da einschränken darf. Die Vereinten Nationen und das Völkerrecht sind der gut begründeten Ansicht, dass, wenn überhaupt, nur die UNO selbst berechtigt ist, in dieser Weise in die nationale Souveränität einzugreifen. Thilo Bode sagt zwar nicht direkt, wen er da agieren lassen möchte. Aber von den real existierenden Institutionen der Weltgemeinschaft hält er jedenfalls nicht viel: „Die Machtstrukturen auf globaler Ebene werden nicht durch ein rechenschaftspflichtiges, supranationales demokratisches System in die Schranken verwiesen.“ Deshalb ist die UNO auch „nicht per se demokratisch legitimiert“. Ganz anders als die NGOs, siehe oben. Sie seien so etwas wie die „Speerspitze der globalen Demokratie“. George W. Bush würde die Aufgabe seiner Soldaten im Irak wohl ähnlich beschreiben.

Es gibt natürlich einen gravierenden Unterschied zwischen Bush und Bode: Der eine hat ein paar hunderttausend Soldaten, der andere hatte mal ein paar hundert Rainbow Warriors. Aber unterschätzen sollte man Letzteren deshalb nicht. Er weiß nämlich ganz genau, an welchen Rädern gedreht werden muss, um „die Rettung der Welt – billig und schnell“ zu erreichen. Auf elfeinhalb Zeilen erklärt er, „was geschehen muss, um einen gerechten Frieden im Nahen Osten zu erzielen“; fast doppelt so viel Raum umfasst sein Sofortprogramm zur „Bildung eines europäischen Bewusstseins“, und immerhin eine ganze Seite nimmt die Schaffung eines Weltparlaments in Anspruch.

Die Rettung der Welt, billig und schnell! Das ist die gute alte technokratische Haltung. Als sei die Welt eine Maschine, bei der man nur die richtigen Schrauben festziehen muss, damit sie reibungslos läuft. Bei Greenpeace hat Bode gelernt, die Interessen der direkt Betroffenen gering zu achten: Was sind die Arbeitsplätze der Walfänger gegen die Rettung der Wale! Doch sollte man mit dem Nahostkonflikt oder dem Gesundheitswesen genauso umgehen? Nur wer die Interessen der Betroffenen ignoriert, kann Konflikte flott beseitigen. Effizient, unmenschlich und undemokratisch.

Thilo Bode: „Die Demokratie verrät ihre Kinder“, 256 Seiten, DVA, München 2003, 19,90 €