„Der Krieg ist Theater“

Interview ERIC CHAUVISTRÉ

taz: Frau Kaldor, Sie unterscheiden zwischen ,,neuen Kriegen“ und ,,alten Kriegen“. Zu welcher Sorte gehört der Irakkrieg?

Mary Kaldor: Es war sicher nicht das, was ich einen „neuen Krieg“ nenne, also kommerzialisierte oder privatisierte Gewalt, wie wir sie etwa in Bosnien und im Kosovo gesehen haben. Auch Terrorismus gehört in diese Kategorie der neuen Kriege. Aber es war auf jeden Fall auch eine neue Art von Krieg: Der Irakkrieg war das, was ich als einen Spektakel-Krieg („spectacle war“) bezeichnen würde. Vielleicht sind die Amerikaner die einzigen, die solch eine Art Krieg führen können.

Was macht diese Art des Krieges aus?

Ein Spektakel-Krieg wird als eine Art Show geführt, in der Hauptsache für das Publikum zu Hause. Aber nicht nur. Das Spektakel wird auch für uns produziert, um zu zeigen, dass die US-Amerikaner die Mächtigsten sind. Aber es ist eine Show, eine Darbietung. Es ist Theater.

Aber der Irakkrieg war doch real und kein imaginäres Spektakel?

Spektakel-Kriege sind imaginär aus dem US-amerikanischen Blickwinkel. Im Irak hatten die USA etwa hundert Tote. Es ging also nicht ganz ohne Opfer, aber das Niveau der eigenen Verluste war sehr niedrig. In der Vergangenheit war mit Krieg einen Erneuerung des Gesellschaftsvertrages verbunden. Es bedeutete, dass die Bevölkerung Steuern zahlen musste und sich dazu bereit fand, getötet zu werden. Dies war Teil der Übereinkunft, die einen zum Bürger machte. Aber im Spektakel-Krieg braucht man keine Steuern zahlen – im Gegenteil: Die US-Amerikaner bekommen gerade große Steuerreduzierungen. Und man muss sich auch nicht umbringen lassen: Nur sehr wenige US-Amerikaner sterben in den Kriegen der USA. Alles, was man heute tun muss: den Krieg im Fernsehen anschauen – und applaudieren. Das sind die Charakteristika von Spektakel-Kriegen.

Und das ist neu?

Der Kosovokrieg war in gewisser Weise auch ein Spektakel-Krieg. Ich gehörte zu denjenigen, die früh eine Intervention zum Schutz der Kosovo-Albaner befürwortet haben. Aber die Form, in der dies geschah, waren Bombardements – eine Form, in der kein einziger Amerikaner gefährdet wurde. Es kostete die USA also nichts. Es war ein Spektakel.

Zählen Sie den Kalten Krieg auch zu dieser Kategorie?

Der Kalte Krieg war ein „imaginärer Krieg“. Es war ein Weg, die Vorteile eines Krieges herzustellen, ohne die Nachteile zu haben. Die USA reproduzierten also den Zweiten Weltkrieg immer wieder auf den Schlachtfeldern Europas.

Und nach dem Ende des Kalten Krieges?

Da haben die USA den militärisch-industriellen Komplex nicht abgebaut. Sowohl aus ideologischen Gründen als auch zur Befriedung spezieller Interessen brauchten sie einen neuen Krieg. Der Kalte Krieg hat deshalb nie aufgehört. Der neue Feind heißt jetzt Terrorismus oder Schurkenstaaten oder Schurkenstaaten bewaffnet mit Massenvernichtungswaffen und mit Verbindungen zu Terroristen. Dies ist der Ersatz für den Kommunismus und für Hitler.

Wenn es nach Ihrer Definition zwei Arten von neuartigen Kriegen gibt – privatisierte und kommerzialisierte Gewalt einerseits und Spektakel-Kriege, andererseits, besteht dann auch ein Zusammenhang?

Die Verbindung besteht zunächst einmal darin, dass die neuen Kriege einen Feind beschaffen. Ich denke, es wäre für Bush sehr schwer gewesen, das zu tun, was er im Irak gemacht hat, ohne den 11. September. Ähnlich wie im Kalten Krieg, als man keinen imaginären Krieg ohne eine schreckliche Sowjetunion haben konnte, kann man auch keinen Spektakel-Krieg haben ohne einen Feind.

Gibt es auch gemeinsame Ursachen?

Beides sind Antworten auf das, was wir Globalisierung nennen. Sie sind Antworten auf die Schwäche des Staates, Antworten auf das Bedürfnis nach einer Art neuer Ideologie, die den Staat legitimiert. Neue Kriege und Spektakel-Kriege basieren auf einer sehr einfachen Art der Identitätspolitik.

Auch für die USA?

Moderne Staaten haben ihre Legitimität durch Kriege gewonnen. Die Idee des Staates selbst basiert auf Krieg. Vor allem für die USA. Der Sieg im Zweiten Weltkrieg legitimierte in den USA die Macht der Zentralregierung und ihre starke Stellung in der US-amerikanischen Gesellschaft. Wenn die Regierenden diese Legitimität erneuern wollen, versuchen sie die Menschen an das zu erinnern, was sie im Zweiten Weltkrieg getan haben. Diese Politik ist also darauf angelegt, den Zweiten Weltkrieg auferstehen zu lassen. Deshalb ist es so wichtig, einen Konflikt zu haben, in dem Ussama Bin Laden oder Saddam Hussein mit Hitler gleichgesetzt werden.

Und bei den neuen Kriegen mit privatisierter Gewalt soll das ähnlich sein?

Neue Kriege sind privatisiert und kommerzialisiert, sie beinhalten eine Reihe von Akteuren, sie sind Verbrechen. Aber gleichzeitig sind sie auch sehr politisch. Bei der Politik geht es um religiösen Nationalismus und Extremismus, es geht um die Idee eines kosmischen Kampfes: Muslime gegen Juden und Kreuzfahrer, Serben gegen Kroaten etc. Solche Ideen sind zentral für die Ideologie der Kriege: „Wir sind bedroht“, „wir brauchen die Kontrolle über unseren Staat“, „wir müssen unser Volk erhalten“. Es geht also immer um einen großen Kampf, der die Legitimität aufrecht erhält.

Gibt es auch einen unmittelbaren Zusammenhang?

Der liegt darin, was nachher kommt. In neuen Kriegen gibt es keinen großen Unterschied zwischen Krieg und Frieden. In alten Kriegen, solchen mit Schlachten zwischen Staaten, gab es einen entscheidenden Schlusspunkt, es gab ein Anfang und ein Ende. Jetzt kann man nur noch über mehr oder weniger intensive Phasen eines Konflikts sprechen. Und neue Kriege entstehen aus Unsicherheit. Sie beinhalten Gewalt gegen Zivilisten, sie sind stark mit der kriminellen Ökonomie verbunden. Am Ende eines neuen Krieges haben sich alle Bedingungen, die zu dem Krieg geführt haben, noch verschlimmert: Der Hass ist verstärkt, weil so viele Menschen getötet wurden. Die Idee, dass man einen Kampf um politische Legitimität benötigt, wird noch wichtiger. Die kriminelle Ökonomie hat sich ausgebreitet. Spektakel-Kriege verstärken diese Entwicklung: Durch die Zerstörung physischer Infrastruktur, durch die Zerstörung von Produktionsstätten, Elektrizitätswerken und Arbeitsplätzen wird die kriminelle Ökonomie gefestigt.

Müssen humanitäre Interventionen zwangläufig Spektakel-Kriege sein?

Es gibt einen großen Unterschied. Recht basiert auf der Gleichheit der Menschen, Krieg basiert auf der Ungleichheit von Menschen. In einer humanitären Intervention wäre es die Aufgabe des Soldaten, Leben zu retten, selbst mit dem Risiko, dass er sein eigenes Leben verliert. So wie die New Yorker Feuerwehrleute, die am 11. September ihr Leben riskierten. Das erste Ziel von Militär in einem Krieg ist es, die eigenen Verluste zu reduzieren. Im Irakkrieg gab es für das US-Militär eine klare Hierarchie des Lebens: US-Soldaten kamen zuerst, als zweites kamen westliche Journalisten, an dritter Stelle kamen irakische Zivilisten, und ganz am Ende kamen irakische Soldaten. Tausende junger irakischer Männer, die eingezogen worden waren, die mit Waffengewalt zum kämpfen gezwungen worden waren, wurden aus der Luft bombardiert.

Aber mit dieser Art des Krieges waren die USA erfolgreich?

Die Amerikaner waren sehr erfolgreich damit, Saddam Hussein zu stürzen. Aber was sie geschaffen haben, ist ein „failed state“. Und es sind „failed states“, in denen neue Kriege mit privatisierter oder kommerzialisierter Gewalt entstehen. Was folgt, sind weitere neue Kriege. Und dann vielleicht mehr Spektakel-Kriege, weil diese wiederum durch die neuen Kriege legitimiert werden.