SCHLESWIG-HOLSTEIN: FÜR REALPOLITIK WIRD ES LANGSAM ZEIT
: Schule muss nicht wehtun

Revolution, so sagt eine gängige Definition, sei dann, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen. Eine Reform wäre dann wohl, wenn sich Oben und Unten gemeinsam verändern. Wie aber soll man das bezeichnen, was sich gerade in Schleswig-Holsteins Schulen zuträgt? Die oben (die Ministerin) und die unten (die Lehrer und die Gewerkschaft) wollen unbedingt die Bildung im Land verbessern. Sie wollen auch beide das Gleiche, nämlich „individuelle Lernpläne“ – und trotzdem kommt es zu keiner Einigung.

Die Idee dieser Lernpläne kommt natürlich aus Schweden. Wer dort Klassen besucht, wird schon bei Abc-Schützen kleine, unauffällige Schulhefte entdecken. Ihre Seiten sind nicht weiß oder kariert, sondern nach Art von Formblättern vorbedruckt. Alle Beteiligten von Schule schreiben dort hinein, was und vor allem wie gelernt wird: Lehrer, Eltern und Schüler. Was da ganz unbefangen benutzt wird, sind „individuelle Lernpläne“. Nur würde keinem einfallen, einen so protzigen pädagogischen Begriff für das Selbstverständliche zu verwenden. Niemand nennt die Heftchen so. Weil sie einfach so alltäglich und so sinnvoll sind.

Eine solche Leichtigkeit des Schuldaseins aber ist hierzulande unerträglich. Schule soll offenbar eine staatliche Veranstaltung sein, die wehtut. Also pochen die Schulbehörden auf das, was Max Weber die „bürokratische Herrschaft“ genannt hat: Befehl und Gehorsam, alles schriftlich fixiert und gerichtlich überprüfbar. So werden aus simplen schwedischen Lerntagebüchern plötzlich amtliche „Lernpläne“ – gegen deren offiziösen Charakter sich das Schulpersonal prompt wehrt. Zu diesem Zweck fordern die LehrerInnen Arbeitszeitermäßigungen. Und im Notfall drohen sie mit dem so genannten Dienst nach Vorschrift, also einer Blockade der Reform.

Vielleicht sollten wir mal nicht nach Schweden schauen und nicht nach Klassikern wie Weber greifen. Sondern einfach das deutsche „Schwarzer-Peter-Spiel“ aufgeben – und sinnvolle Dinge auch dann tun, wenn sie keinen Amtsstempel tragen.

CHRISTIAN FÜLLER