die jazzkolumne
: Die „Jazz Times“ streicht Stanley Crouchs Kolumne

Destruktion der Negro-Ästhetik

Das Foto, das ihn auf seiner Kolumnenseite „Jazz Alone“ zeigt, ist mindestens zehn Jahre alt. Seltsam verschwommen blickt er drein, als habe er einiges zu verbergen, als wolle er nicht, dass man ihn auf der Straße erkennt. Das Seitenprofil hat Stanley Crouch bei zahlreichen Auszeichnungen als einer der begabtesten Essayisten des heutigen Amerika begleitet.

Seitdem die führende US-amerikanische Fachzeitschrift Jazz Times ihm eine monatliche Kolumne einrichtete, ist noch nicht allzu viel Zeit vergangen. Crouch ist der umstrittenste Jazzkritiker weit und breit, und der Hagel an Leserbriefen, die die Jazz-Times-Redaktion im vergangenen Jahr erreichten, übertraf jede bisher da gewesene – überwiegend negative – Reaktionsquote und überraschte doch keinen wirklich. Dabei war Crouch völlig im Rahmen seiner grob provokativen Theoreme geblieben, mit Hilfe deren er einer Clique junger afroamerikanischer Musiker in den letzten zwei Jahrzehnten den Weg in den US-amerikanischen Medienmainstream geebnet hatte.

Jetzt wurde Crouch von Jazz-Times-Chefredakteur Christopher Porter via E-Mail gefeuert. Man würde seine Argumentation nun zur Genüge kennen und wolle sich neuen Inhalten öffnen, hieß es in der kurzen Begründung. Hintergrund ist jedoch die April-Kolumne von Crouch, in der er unter dem Titel „Putting the White Man in Charge“ gegen den von ihm ausgemachten Trend polemisierte, dass weiße Kritiker ihre Medienmacht dazu missbrauchen würden, ausschließlich weiße Musiker auf den Plan zu bringen. Und zwar auf Kosten afroamerikanischer Musiker, die sich der Swing-und-Blues-Tradition verschrieben haben.

Das Crouch-Lesern sattsam bekannte Ding von der Rebellionssehnsucht jener Leute, die dem Wertesystem der weißen amerikanischen Mittelschicht entfliehen wollten und die afroamerikanische Kultur als Projektionsfeld nutzten, ist zentral, wenn es Crouch darum geht, die Anti-Negro-Haltung namhafter weißer Kritiker zu erklären. Aus Crouchs Sicht habe sich jene Rebellionssehnsucht nun gegen die schwarze Ästhetik verschoben. Als konkretes Beispiel nennt er den weißen Trompeter Dave Douglas, der von der amerikanischen, weiß dominierten Jazzkritikervereinigung wiederholt zum besten Musiker gewählt wurde. Dass Dave Douglas dadurch nun als die weiße Antwort auf den Trompeter Wynton Marsalis erscheint, daran hat Crouch allerdings selbst großen Anteil. Schließlich nutzt er seit Jahren seine Medienpräsenz, um Marsalis und Co als Helden, Genies und Garanten einer afroamerikanischen Ästhetik groß zu schreiben, die Louis Armstrong, Duke Ellington und John Coltrane als Kanonkoordinaten kennt.

In der New Yorker Wochenzeitung Village Voice gibt es in der aktuellen Nummer eine Aufarbeitung des Crouch-Phänomens. Der 23-jährige Autor Daniel King, weiß und mit dem Jazz-Times-Chefredakteur gut bekannt, hat die Beteiligten gefragt, und unter dem Titel „Hanging the Judge“ – in Anlehnung an den Crouch-Bestseller „Notes of a Hanging Judge“ – eine beeindruckende Sammlung von Statements führender US-Jazzkritiker zusammengetragen. Der Grundtenor ist schnell zusammengefasst: Die meisten kennen Crouch persönlich, teilen seine Ansichten nicht, halten die Entlassung jedoch für eine bedauernswerte Aktion, die Crouchs Verschwörungstheorem von einem weißen Kritikerestablishment, das sich gegen die schwarze Ästhetik verschworen habe, unnötig Zucker gibt. Dass selbst noch der größte Widersacher Crouchs innerhalb der Black Community, der marxistische Jazzpoet Amiri Baraka aka LeRoi Jones, für den geschassten Kolumnisten Partei ergreift, teilt Genaueres über das Ausmaß des Skandals mit: Es geht um die Situation afroamerikanischer Kritiker in den amerikanischen Medien. Die drei großen amerikanischen Jazzzeitschriften haben kein afroamerikanisches Redaktionsmitglied – das ist die Erfahrung, die Baraka und Crouch eint.

Schwer zu sagen, ob sich hinter der Entlassung Crouchs nur ein weiterer Angriff auf die von ihm repräsentierte neokonservative Revolution im New Yorker Jazz verbirgt oder ob da noch eine Fortsetzungsstory mit alten Bekannten drin ist. Auf dem aktuellen Crouch-Foto in der Village Voice sieht man jedenfalls einen übergewichtigen Mann mit Anzug und Krawatte, Glatze und schwarzem Brillengestell auf dem Bürgersteig vor seinem Haus in Downtown New York. Sieht aus, als käme der Haifisch gerade von einem Ausgang zurück, um sich schnell wieder an die Arbeit zu machen CHRISTIAN BROECKING