Widerstand künstlicher Intelligenzen

Operation Rumsfeld: Der aktuelle Stand der Kriegsführung entspricht den Erzählweisen der Computer-Strategiespiele

Einstmals beliebte Thesen von der Art, der Krieg sei seine eigene Simulation geworden oder der Krieg sei ein Videospiel, werden nach dem materialreichen Marsch auf Bagdad nicht mehr vorgetragen. Auch in der taz hat Georg Seeßlen davon gesprochen, dass die Reterritorialisierung des Krieges ihn von der Ästhetik des Computerspiels entfernt habe (siehe taz vom 2. 4.).

Doch die Gewinnung von Raum ist das klassische Sujet des Computerspiels. Die vektorengestützte Darstellung von Raum, automatisiert im Programmkern des Spiels, der engine, macht die eigentliche Spielbegabung des Computers aus – und damit auch dessen bevorzugte Bühne. So wie First-Person-Spiele dem Spieler das Gefühl der Ermächtigung im Raum geben, so unterstützt die so genannte Real Time Strategy (RTS) die Erschließung eines vorgegebenen Territoriums. Während die Eroberung des Raumes in der Egosimulation in die Tiefe geht und etwas Rauschhaftes hat, belohnt RTS die Eroberung der Fläche mit der befriedigenden Herstellung eines hygienischen Zustands: Sicherung des Terrains und Reinigung von den künstlichen Intelligenzen, die stets nur lästigen Widerstand entgegenbringen. Die letzten Kriege mögen eher nach Shooter und Simulation ausgesehen haben. Der aktuelle Stand der Kriegsführung entspricht dagegen dem Strategiespiel.

Computerspiele sind oft auch dort, wo es zunächst gar nicht danach aussieht, nichts anderes als Eroberungsspiele. Die Regeln des Spiels verlangen das Überwinden auch von organischen Hindernissen – ein Ziel, das nur mit deren gewaltsamen Beseitigung erreicht werden kann. Die Suspendierung von Mitgefühl wird vom Spiel belohnt. Die Gratifikation dieses „nichtempathischen Verhaltens“ ist der Dorn im Auge der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Man befürchtet die Verwechslung von Simulation und Realität und damit die Übertragung der nichtempathischen Regeln auf das Leben da draußen.

Computerspiele beziehen ihren Reiz aber nicht nur aus dem ludischen Element, der Lust an der Simulation und am „Weiter-kommen“, sondern auch aus ihrer narrativen Komponente. Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Spielen finden Computerspiele nur selten im rein Symbolischen statt. Erst Intro, Cut-Sequenzen und Handbuch verwandeln Bildpunkte in U-Boote, machen aus dem Regelwerk eine Erzählung.

Das ist umso bedeutender, als sich die Sujets in den letzten Jahren gewandelt haben. Vor allem in den Strategiespielen mussten bisher meistens, wenn nicht ohnehin ein frei erfundenes Szenario zu bewältigen war, alte Schlachten neu geschlagen werden, vorzugsweise aus dem Zweiten Weltkrieg. Inzwischen sind alle in Frage kommenden Genres in der nahen Zukunft angekommen. Das hat auch strukturelle Gründe. In der Gestalt des Terroristen gibt es endlich ein zeitgenössischen Feind, der – so wie die alten Nazis – real und surreal zugleich und der für ein weltweites Publikum als Feind akzeptabel ist. Historischer Realismus wurde ersetzt durch den Realismus der Waffengattung und die Plausibilität geopolitischer Szenarien – und so wäre eigentlich auch der Name des zuständigen Ministers ein perfekter Titel für kommende Spiele: „Operation Rumsfeld“.

Kuba zum Beispiel. Vor ein paar Jahren ging es in „Tropico“, einer Persiflage anderer Simulationsspiele, noch um den Erhalt der der eigenen Macht auf der Insel – gegen alle Demokratiebestrebungen. Heute wird dem Spieler in „Ghost Recon: Island Thunder“ das Schicksal des Post-Castro-Kuba in die Hände gelegt. In dem Strategie-Egoshooter muss eine Eliteeinheit der Green Berets den ordnungsgemäßen Ablauf der ersten freien Wahlen in Kuba überwachen. Ein Spiel übrigens, das den Multilateralisten unter uns Hoffnung machen dürfte – die US-Einheiten sind eingebettet in die Friedenssicherung durch UN-Blauhelme.

Wenn allerdings die Vereinigten Staaten in ihrer außenpolitischen Doktrin der Moral gegenüber dem Recht den Vorzug geben, dann ist die Legendenerzählung das strukturell passende Kommunikationsmedium. Computerspiele haben da ihre eigenen Erzählmodi gefunden. So wie es bekanntlich eine grundsätzliche Eigenart der Moral ist, dass sie von jedem in Anspruch genommen werden kann, ist in „America’s Army: Operations“ die eigene Position frei wählbar. Der Spieler muss sich einfach nur entscheiden, ob er als Verteidiger oder als Angreifer in die Schlacht ziehen möchte. Die zu verteidigende – oder eben: anzugreifende – Pipeline in Alaska bleibt dieselbe, der Terrorist aber, das ist immer der andere.

Wenn man also die narrative Funktionsebene des Computerspiels in den Blick nimmt, ist die Frage gar nicht so sehr, ob hier Realität mit Fiktion verwechselt wird, sondern ob der Fiktion nicht etwas fehlt. Das Problem liegt dann weniger darin, dass Realität und Repräsentation verwechselt werden, sondern dass das Leid nicht repräsentierbar ist. Es gibt keine engine für die Darstellung von „kreatürlichem Leid“, es kann nicht in derselben Weise in Zeichen umgerechnet werden, wie Raum, Bewegung und Macht in Zeichen darstellbar sind. Das ist der blinde Fleck der Simulation.

Kaum jemand hält die Bilder des Krieges für den Krieg selbst. Aber das zugrunde liegende Axiom visueller Erzählungen, zum Beispiel die Geschichte von einer auserwählten Macht, die den Rest der Welt nach ihrem Bild zivilisieren muss, ein solches Axiom kann sich festsetzen und zur Wahrheit werden. Jeder Märchenforscher kann das bestätigen. SEBASTIAN HANDKE