„Das wird folkloristisch verharmlost“

Rassismus und Diskriminierung sind auch ein Problem der Wahrnehmung, sagt Claudia Dantschke, Ko-Autorin der Kommunalstudie über „Demokratiegefährdende Phänomene“. Die Lösung? Sozialraum AGs und Graswurzel-Debatten

taz: Frau Dantschke, in der Studie über demokratiegefährdende Strukturen im Fusionsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg sprechen Sie von einem Wahrnehmungsproblem. Was genau meinen Sie damit?

Claudia Dantschke: Die Schwierigkeit besteht darin, Übergänge auszumachen. Zum Beispiel bei der islamischen Bevölkerung Kreuzbergs sind die fließend, von einer ganz normalen, gelebten Orthodoxie hin zum Islamismus. Das betrifft auch Gruppen im türkisch-nationalistischen oder rechtsextremen Bereich wie die so genannten Grauen Wölfe. Anfang bis Mitte der 90er-Jahre agierten diese Gruppen sichtbar aggressiv. Das ist heute nicht mehr der Fall. Daher wird sich mit den Denkhaltungen dieser Gruppen nicht mehr auseinander gesetzt.

Steckt da auch eine falsch verstandene Toleranz dahinter?

Ja, das wird alles folkloristisch, nationalistisch verharmlost und kulturalistisch entschuldigt. Das ist aber der falsche Ansatz. Man muss diese rassistischen, diskriminierenden Ideologien als demokratiegefährdend thematisieren. Dann können wir uns mit den Ursachen beschäftigen.

Welche Chance bietet Ihre Studie denjenigen, die im Kiez ausgegrenzt werden?

Wir wollten die Opferperspektive breiter fassen. Mehrheitlich werden Schwarze und Homosexuelle unterschiedlicher Herkunft ausgegrenzt. Wir sprechen aber auch von diskriminierenden Strukturen innerhalb religiöser Gruppen. Zum Beispiel sind mehrheitlich Muslime Opfer von Muslimen, in Form von psychischem Druck und Stigmatisierung.

Als Lösungsansatz präsentiert die Studie Sozialraum AGs. Die gibt es in Friedrichshain und in Kreuzberg doch bereits.

Wir wollen diese Struktur nutzen, weil wir hier die einzige Möglichkeit sehen, Methoden der Intervention zu nutzen. Und zwar ganz unten an der Basis. Beide Bezirksteile sind sehr kiezbezogen, also sehr kleinteilig orientiert. In diesen Mikroregionen muss man letztlich eine Gegenkultur stärken. Der dominanten antisemitischen oder antirassistischen Kultur muss eine demokratische Gegenkultur entgegengehalten werden. Dazu muss das Problem aber zunächst erkannt und diskutiert werden.

Sie meinen, dass zum Beispiel das Problem des Antisemitismus nicht länger nur Angelegenheit einiger besorgter Projektmitarbeiter sein soll, sondern gesamtgesellschaftlich diskutiert werden muss.

Ja, da gehören Akteure der breiten Zivilgesellschaft hinein. Wir wollen dazu eine Vernetzung der Zivilgesellschaft an der Basis anregen.

Wie werden denn die Ergebnisse der Studie nach „ganz unten“ gelangen?

Ab September werden wir, also das Zentrum Demokratische Kultur, im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit dem Bezirk die Ergebnisse in allen Sozialraum AGs vorstellen und diskutieren. Weiterhin haben wir vorgeschlagen, eine Koordinierungsstelle zu schaffen, die das alles vernetzt. Die Bezirksverwaltung war bislang dafür auch sehr offen und interessiert. INTERVIEW:
ADRIENNE WOLTERSDORF