Alles wieder offen

Kein herzzerreißendes Werk: Das Kartellamt verweigert in Form einer Abmahnung seine Genehmigung für die Übernahme der Ullstein-Heyne-List-Verlage durch Random House

An der Stellung des Taschenbuchmarktes als Teilmarkt scheiden sich die Geister

von GERRIT BARTELS

Die Fronten scheinen klar wie selten zu sein. Auf der einen Seite der globale Spieler Bertelsmann, der sich Anfang dieses Jahres die ebenfalls nicht kleine, zum Springer-Verlag gehörende Verlagsgruppe Ullstein-Heyne-List einverleibt hat, für eine vergleichsweise geringe Summe von mutmaßlich 75 Millionen Euro. Auf der anderen die vielen kleineren, aber gleichfalls zu Gruppen konzentrierten Verlage. Hier ein „aggressiv-imperialistisches Unternehmen, das im Zweifel ein Monopol anstrebt“ (dtv-Verleger Wolfgang Balk), dort solide, wacker auf Qualität bedachte Verlage, denen es um Markt- und Markenvielfalt geht; hier die Unterhaltungsmaschine, die die Buchkultur ruiniert, dort die Hüter eines Kulturgutes; hier die vermeintlichen Verramscher, denen es nur um Gewinne geht, dort Edelmänner wie Michael Krüger oder Hans Magnus Enzensberger, der einst snobistisch fragte: „Bertelsmann? Das soll ein großer Verlag sein, einen Autor oder Titel könnte ich Ihnen nicht nennen.“ Und dazwischen: das Kartellamt in Bonn.

So wirkte es zugleich wie eine Beschwörung und eine ultimative, fast wütende Aufforderung, gerichtet an die Adresse des Kartellamts, als sich der Hanser-Verleger Michael Krüger vor einer Woche in der FAZ zu den Folgen der Übernahme von Ullstein-Heyne-List durch Bertelsmann und seinen Buchverlag Random House äußerte. Denen gehe es nur darum, so Krüger, „den Markt aufzukaufen“ und Dominanz bei den Taschenbüchern herzustellen. Einen „National-Verlag Bertelsmann“ sah Krüger am Ende des Verfahrens, „einen Riesen, der mit Verlagen spielt wie mit Klötzchen“, und den nur einer stoppen könne: das Kartellamt. Das wiederum wollte Random-House-Geschäftsführer Klaus Eck nicht auf sich sitzen lassen und verwies seinerseits ein paar Tage später an gleicher Stelle auf die Random-House-Vielfalt und die Entscheidungshoheit der einzelnen Verlage. Abgefasst als Antwort auf Krüger, hatte auch dieser Text nur einen Adressaten: das Kartellamt.

Nach dieser sozusagen letzten öffentlichen Anhörung scheint es, als habe das Kartellamt Krüger und mit ihm „den Rest der Verlagsbranche“ (so Krüger) erhört. Es verweigerte am Donnerstag in Form einer „Abmahnung“ seine Genehmigung für die Übernahme und forderte beide Parteien bis zum 5. Juni auf, den Antrag entscheidend nachzubessern. Der Grund für dieses zwar vorläufige, aber richtungweisende Urteil: die durch eine Übernahme erfolgende marktbeherrschende, gut 40 Prozent betragende und uneinholbar erscheinende Position von Random House auf dem Taschenbuchmarkt.

Ein Urteil, das selbst wirtschaftlich nicht so beschlagenen Menschen einleuchtet, schaut man sich nur in den Taschenbuchabteilungen der großen Buchhandelsketten um, wo die dicken Publikumsschmöker stehen. Dort finden sich in der Vielzahl die aus dem Random-House-Verlag stammenden Goldmann- und btb-Bücher, insbesondere aber eben auch Bücher von Heyne, einem der stärksten Taschenbuchverlage überhaupt. Da kommt selbst ein Riese wie die Holtzbrinck-Gruppe mit ihren 20 Prozent Taschenbuchmarktanteilen und Verlagen wie etwa Rowohlt, S. Fischer und KiWi ins Schwitzen. Ganz schwer aber wird es tatsächlich für die kleinen, mitunter gar unabhängigen Verlage, überhaupt noch ein Taschenbuch in die Regale zu bekommen. Mit beispielsweise Dieter Bohlen, Florian Illies, Christa Wolf, Saul Bellow oder V. S. Naipaul deckt Random House dann eine Bandbreite ab, die inzwischen selbst Hans Magnus Enzensberger gut bekannt sein dürfte.

Bei Random House hat man nun errechnet, lediglich auf 27 Prozent des Taschenbuchmarktes zu kommen und damit noch weit von der kritischen Grenze von 33 Prozent zu sein, die vom Kartellamt als marktbeherrschend angesehen wird. Zudem hatte man von Gütersloh aus zuletzt mehrfach darauf verwiesen, dass der Taschenbuchmarkt nicht vom Gesamtbuchmarkt abzukoppeln sei und man auf diesem nach dem Deal lediglich 11 Prozent erreiche.

Das Kartellamt sieht das anders: Der Taschenbuchmarkt ist ein Teilmarkt, der vom übrigen Buchmarkt abzugrenzen ist. Es folgt damit denselben Kriterien, die auch zu einem negativen Urteil bei der Übernahme der Berliner Zeitung durch Holtzbrinck geführt hatten. Hier bezog das Kartellamt in seiner Prüfung nicht alle in Berlin verkauften Zeitungen mit ein, sondern unterschied traditionell zwischen Kauf- und Abozeitungen. Bei Letzteren ergab sich mit 61 Prozent eine allzu dominante Stellung für Holtzbrinck. Die Folgen sind bekannt: Holtzbrinck beantragte eine Ministererlaubnis, der Konkurrent Springer, bisher mit rund 30 Prozent Marktführer bei den Abozeitungen, drohte mit der Einstellung von Welt und Morgenpost, falls die Erlaubnis erteilt werde, und Wirtschaftsminister Clement hält sich weiter bedeckt. Eine Entscheidung steht aus und ist offen wie nie.

Was nun die vom Kartellamt geforderten Nachbesserungen anbetrifft, dürften die Folgen für Random House und die Ullstein-Heyne-List-Gruppe relativ klar sein. Random House muss sich von verschiedenen Taschenbuchverlagen trennen, um das Filetstück des Deals, den Heyne-Verlag, zu bekommen. Oder es verzichtet auf den Heyne-Verlag und verkauft ihn an andere Interessenten – das Risiko trägt nach dem erfolgten Kauf im Februar allein Random House. Doch in Gütersloh hält man sich bedeckt: Man sehe keinen Handlungsbedarf, sagte Random-House-Sprecher Tim Arnold, erklärte: „Das ist der ganz normale Ablauf in einem Kartellverfahren. Wir warten erst mal die beginnenden Gespräche ab“, und fügte an, dass man bei einer endgültigen Ablehnung vor Gericht ziehen würde. Das aber könnte Jahre dauern, wäre jeglicher Planungssicherheit abträglich und alles andere als ein Kreativitätsschub für die betroffenen Verlage. So dürfte es kaum was mit dem hehren Ziel werden, „viele kleine Diogenesse“ zu betreuen, das vor einiger Zeit von Random House euphemistisch verkündet wurde – der Züricher Diogenes Verlag ist seit Jahrzehnten ein wenn auch kleiner, so doch sehr erfolgreicher Verlag. Zumal die einst mit großem Aplomb und Pathos gefeierte Übernahme der Fachverlagsgruppe Springer schon wieder Geschichte ist und BertelsmannSpringer vor kurzem an die Private-Equity-Firmen Cinven und Candover verkauft wurde. Von wegen Kerngeschäft und Verschlankung. Und zumal einer der 1998 erworbenen „Diogenesse“, der Berlin-Verlag, kürzlich wieder das schützende Bertelsmann-Dach verließ und beim Londoner Bloomsbury-Verlag unterschlüpfte – zu groß seien die unterschiedlichen Auffassungen von Verlagsarbeit gewesen, gab Klaus Eck in der FAZ zu, „und vielleicht auch zu unterschiedlich die Temperamente“.

Doch wie soll das erst sein, wenn mit der Ullstein-Heyne-List-Gruppe, zu der auch Verlage wie Econ, Claasen und Südwest zählen, 43 Verlage zum Bertelsmann-Konzern gehören? Und der in New York sitzende Bertelsmann-Buchvorstand Peter Olson unbeirrt die 10-Prozent-Rendite als Vorgabe für jeden Verlag bestimmt, ansonsten gehe gar nichts? Ganz zu schweigen von den zahlreichen zur Disposition stehenden Arbeitsplätzen. Und noch mehr zu schweigen von der Allmachtsfantasie von Ex-Bertelsmann-Chef Middelhoff, die ihn einst dazu bewegte, zu sagen, jeder Deutsche würde sich mindestens 20 Minuten am Tag mit einem Bertelsmann-Produkt beschäftigen.

Da wünscht man sich dann die kritische Nonchalance und Sorglosigkeit vom Schlage eines jungen Autors wie des Amerikaners Dave Eggers. Der wies auf der ersten Seite seines Erfolgsromans „Ein herzzereißendes Werk von umwerfender Genialität“ darauf hin, zu was für einem monströs großen Unternehmen sein beim Verlag Simon & Schuster veröffentliches Buch eigentlich gehört: Viacom Inc. Und meinte trotzdem, dass, „ganz gleichgültig, wie groß diese Unternehmen sind und was sie alles besitzen oder wie viel Geld sie haben oder machen oder kontrollieren, ihr Einfluss auf das tägliche Leben und das Herz der Einzelnen […], ihr Effekt auf das kurze, schwere Leben von Leuten, die sich mühsam durchs Leben bewegen und schlafen […], sehr, sehr gering ist. Und deshalb sollte man sich darüber keine Gedanken machen“. Nun ja.