Feindlicher Empfang fürs Visuelle

Cannes Cannes (X): Max Färberböck benutzt den 11. September als Katalysator für Ehekrisen und scheitert auf ganzer Linie. Vincent Gallo kokettiert mit seiner Filmerektion und bleibt Festivalgespräch. Derweil schimpft „Le Monde“ auf die Filmkritiker

Fragen scheint sich Max Färberböckkeine Sekunde gestellt zu haben

von CRISTINA NORD

Der Regisseur Max Färberböck („Aimée & Jaguar“) hat einen Film über den 11. September gedreht. Man weiß nicht genau, warum, aber das Auswahlgremium der Reihe „Un certain regard“ hat „September“ ins Programm genommen. Beim deutschen Empfang sprach Christina Weiss von einem „interessanten Film“. Sie liegt damit nicht falsch: Interessant ist „September“, weil er vorführt, wie ein Film nicht nur auf einer, sondern auf allen seinen Ebenen scheitert.

Fünf Filmförderanstalten haben für „September“ Geld gegeben, darunter die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, die Filmförderung Hamburg und das Filmboard Berlin-Brandenburg. Offenbar mit der Auflage, dass in den jeweiligen Bundesländern gedreht wird. So spielt der Film in einer diffusen Stadt, die sich aus Berliner Straßen, Hamburger Gebäuden und, in der Ferne, der Spitze des Kölner Doms zusammensetzt. Einmal stehen auf einem Parkplatz Autos mit Berliner Kennzeichen, in der nächsten Szene fährt ein Wagen mit Hamburger Kennzeichen auf die Kamera zu, ohne dass der Schnitt einen Ortswechsel impliziert hätte. Es ist dies nur eine der zahlreichen Unachtsamkeiten dieses Films. Was treibt Färberböck zur Ungenauigkeit? Der Zynismus, dass nach dem 11. September alles anders und damit auch alles gleichgültig ist?

Für das Drehbuch zeichnen vier Autoren und eine Autorin verantwortlich: John von Düffel, Sarah Khan, Matthias Pacht, Moritz Rinke und der Regisseur selbst. Niemand von ihnen kann einen Dialog entwerfen, der ohne Lautstärke und Unruhe auskäme. Was haben sie sich dabei gedacht? Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schreien? Für den Imperativ haben alle Autoren eine Vorliebe, so dass die Befehlsform fast jedes Gespräch regelt. „Geh.“ „Setz dich.“ „Sei still.“ „Hör auf.“

Seit es Kunst gibt, gibt es Reflexionen darüber, ob und wie sich Schrecken darstellen lässt. Nach dem 11. September haben sich die entsprechenden Diskurse intensiviert. Ist es legitim, Fotos derjenigen zu drucken, die sich aus dem brennenden WTC stürzen? Wie oft muss das Bild des in den zweiten Turm eindringenden Flugzeugs wiederholt werden, bis es den Status der Ikone erreicht? Geht es dabei um Erkenntnis, um Empathie, oder geht es um Schauer?

Färberböck und seine Autorenriege scheinen sich mit solchen Fragen nicht eine Minute befasst zu haben. Zu Beginn des Films spult sich ein Medley aus den bekannten Nachrichtenbildern ab, hineinmontiert sind Szenen aus dem jäh gestörten Alltag der Figuren, darüber gelegt sind Musikstücke.

Allmählich schält sich dabei heraus, was dem Film die Katastrophe wert ist: Zum Katalysator für Ehekrisen wird sie. Etwas Ähnliches hat schon Claude Lelouch mit seinem Beitrag zu dem Kompilationsfilm „11‘ 09‘‘ 01‘‘ versucht. Lelouchs Film dauerte dankenswerterweise nicht länger als elf Minuten und neun Sekunden, „September“ dauert fast zwei Stunden. Es waren die traurigsten Stunden des Festivals.

Vincent Gallo bleibt derweil talk of the town. Die Erektion, die im letzten Viertel von „The Brown Bunny“ eine im Wortsinn große Rolle spielt, bietet noch Tage nach der Premiere Diskussionsstoff. In der Pressekonferenz gibt Gallo den Koketten: „Ich wette, Sie waren beeindruckt.“ Um den Skandal indes sei es ihm in keinem Augenblick zu tun gewesen. Er wollte zeigen, dass Menschen beim Sex Dinge tun, die ihrem Verstand entgegenlaufen.

Schelte von hoher Stelle gab es derweil, weil sich viele Kritiker während der Pressevorführungen von „The Brown Bunny“ respektlos verhielten. Le Monde fragte, wie ausgerechnet in Cannes, „der vermeintlichen Zufluchtsstätte für die Fülle unterschiedlicher kinematografischer Ausdrucksformen“, ein schwieriger Film so feindlich empfangen werden könne.

Die Frage soll nicht als Lob für „The Brown Bunny“ empfunden werden, aber es ist wichtig, sie zu stellen. Denn ein Verdienst dieses Festivals ist es, dass es Filme zu ihrem Recht kommen lässt, die das Visuelle stärken und darüber die Narration vernachlässigen. Umso schöner, wenn sie nicht in den Nebenreihen, sondern im Wettbewerb laufen.