Vaters Zärtlichkeit

John Irving hat in seinem Buch „Garp“ eine schöne Beobachtung festgehalten: Der Atem von kleinen Kinder riecht nach nichts. Wenn seine Kinder schlafen, nähert sich Irvings Held Garp ihnen ganz nah, um an ihrem Atem zu schnuppern – eine der zärtlichsten Szenen seines Bestsellers. Und wer es ausprobiert, wird merken: Es stimmt.

Das Atemschnuppern ist eine der ersten väterlichen Zärtlichkeiten, die möglich sind – abgesehen davon sind die zuerst zerknautschten, dann schnell verquollenen Babys am Anfang viel zu zerbrechlich, um der Vaterliebe körperlich irgendwie Ausdruck verleihen zu können. Schlimmer noch: Wer Pech hat, wird auch nach Wochen immer noch nicht von seinem Säugling angelächelt.

Dann heißt es, tapfer zu bleiben und trotz fehlender Gesten des Vertrauens die nächtlichen Schreiorgien, ausgelöst durch Koliken, mannhaft zu überstehen. Und das, obwohl man nach einigen solcher Nächte recht schnell versteht, wie überforderte Mütter und Väter auf die Idee des Kindsmords kommen. Das väterliche Zärtlichkeitsbedürfnis nimmt in solchen Nächten sehr ab.

Auch wenn es seltsam klingt: Es gibt zur Befriedigung des väterlichen Zärtlichkeitsbedürfnisses auch das Windelnwechseln. Das ist, solange das Kind nur Muttermilch bekommt, entgegen anderen Gerüchten, keine arge Zumutung. Denn die breiige Babyausscheidung riecht nur etwas milchig. Solche Momente sind’s, da einen der Spross erstmals anguckt, vielleicht sogar anlächelt. Dann kann man gar nicht mehr sauer sein wegen der vielen ungeschlafenen Nächte.

Schließlich kommt die Zeit, da der oder die Kleine nur noch Körperkontakt will – und anfängt zu schreien, wenn man es als Eltern wagt, das Kind nicht permanent im Arm zu halten. Schöne Monate! Welch Glücksgefühl, wenn das Kind erstmals aufhört zu schreien, sobald man es als Vater auf den Schoß genommen hat! Welch warmes Empfinden, wenn das Kind seinen Oberkörper schlafend über die Hand des Vaters beugt wie ein betrunkener Matrose seinen Körper über die Reling.

Vom fünften Monat an hat das Kind die richtige Kussgröße: Es ist nicht mehr zu klein, dass man es mit väterlichen Zärtlichkeitsbekundungen schädigen könnte. Und nicht zu groß, um ihnen entrinnen zu können. Zugegeben, das ist egoistisch: Man schnappt sich einfach die Kleine oder den Kleinen und knutscht los. Auf den Bauch ist super, auf den haarlos gescheuerten Hinterkopf witzig. Küsse auf den Hals führen fast immer zu verzücktem Jauchzen des Kindes.

Babys sind ausgesprochen gemütlich. Sie sind warm, weich und riechen gut, solange die Windel nicht voll ist. Dem Kind auf dem Arm in den Flaum auf dem Kopf zu blasen, macht Spaß und kann einen in eine fast meditative Stimmung bringen. Klasse ist auch, dass vom Vater geradezu erwartet wird, er würde das Kleine in die Luft werfen. Das Kind quietscht dann zuverlässig. Vorsicht aber kurz nach dem Stillen oder Füttern!

Ist das Kind aus der Babyphase raus, wird der Austausch von Zärtlichkeiten schwieriger, so heißt es. Aber: Es reicht, sie durch die Luft zu wirbeln, mit den Kopf nach unten zu halten oder durch die Gegend zu schleppen. Dass man so etwas nur mit Söhnen machen kann, ist erwiesenermaßen falsch. Denn bei aller Zärtlichkeit: Verzärtelte Kinder will niemand.PHILIPP GESSLER