Eine ungewöhnliche Fahrt nach Auschwitz

Auf Initiative eines palästinensischen Geistlichen besuchen Araber und Juden gemeinsam das Vernichtungslager

NAZARETH taz ■ Die Assoziation an Pater Flanagan und seine Heimjungen drängt sich geradezu auf, wenn man die uniformierten Schüler des Al-Mutran-Gymnasiums in Nazareth beobachtet, die neugierig um das Büro des Direktors schleichen und ehrfürchtig zur Seite weichen, wenn der stattliche Mann in seiner schwarzen Robe an ihnen vorbeirauscht. Etwas größer und etwas älter, als es Spencer Tracy während der Filmaufnahmen war, ist der griechisch-katholische Archimandrit Emil Schufani schon, dennoch scheint er dieselbe Mischung aus Autorität und Wärme zu vermitteln wie sein Kollege im Film.

Seine Initiative, gemeinsam mit israelischen Arabern und Juden nach Auschwitz zu fahren, um „von der Erinnerung zum Frieden“ zu gelangen, so das Motto der Reise, klingt aus seinem Munde glaubwürdig. Ohne die Erwartung, dass ein solches Projekt auch auf jüdischer Seite zu einem Umdenken führen könnte und zu der Auseinandersetzung mit dem palästinensischen Leid, will er zunächst bei sich selbst etwas verändern. Die Gefühle der Juden 60 Jahre nach dem Holocaust verstehen lernen sei Ziel der Reise.

„Wir kommen zusammen, weil wir hören wollen, wie die Juden heute ihre Geschichte erzählen“, sagt er, und „wir kommen mit totaler Solidarität.“ Die rund 30 begleitenden Journalisten inbegriffen, umfasst die israelische Gruppe über 300 Teilnehmer, die „für die Bevölkerung repräsentativ“ sein sollen, darunter Anwälte, Autoren, Künstler, Reiseagenten, Lehrer, Polizisten und sogar jüdische Siedler. Eine zweite, ebenfalls gemischte Delegation von insgesamt 200 Arabern und Juden aus Frankreich, wo Schufani studierte, besucht zeitgleich seit gestern das Vernichtungslager.

Bei den jüdischen Israelis stieß das Projekt auf offene Ohren. Zum einen sei „die Vernichtung des europäischen Judentums nicht allein Angelegenheit der Juden“, schreibt der ehemalige Erziehungsminister Amnon Rubinstein (Meretz) in der Tageszeitung Ha’aretz. Zum anderen setze die Initiative Schufanis ein Gegengewicht zu der „neofaschistischen Propaganda und der Holocaust-Leugnung in den ägyptischen, syrischen und saudi-arabischen Medien“. Zustimmung also von allen Seiten, so scheint es. Die extreme Rechte, die 1998 auf die Barrikaden ging, als Jassir Arafat das Washingtoner Holocaust-Museum besuchen wollte, hält sich diesmal zurück. Schufani gilt eigenen Aussagen zufolge als „proisraelisch“.

Vor einigen Jahren machte sich der damalige Regierungschef Benjamin Netanjahu – erfolglos – für die Wahl Schufanis zum Bischof stark. Die griechisch-katholische Synode hatte ihn vorgeschlagen, der Vatikan wählte jedoch einen anderen. Auf seine Verbindung zu Netanjahu angesprochen, lacht Schufani. „Er hatte politische Informationen, dass der von Rom bestimmte Bischof pro-palästinensischer ist als ich“, erklärt er.

Dieses Image macht ihm die Erfüllung seiner Mission im eigenen Lager nicht unbedingt leichter. Seine Initiative unterstütze die israelische Propaganda, schrieb der Journalist Emir Mahkul in der palästinensischen Tageszeitung al-Adscham, „die Zionisten nutzen den Holocaust, um Israels Verbrechen heute zu rechtfertigen“. Die Reise berge die Gefahr, „die Opfer-Psychologie in der israelischen Gesellschaft“ zu stärken. Sie werde keinesfalls zu mehr Offenheit auf jüdischer Seite führen.

„Solange einer den anderen beschuldigt, können wir den Teufelskreis nicht durchbrechen“, schiebt Schufani die zahlreichen Kritiken in der arabisch-israelischen und palästinensischen Presse beiseite. „Unsere Solidarität bedeutet nicht, dass wir unser eigenes Leiden vergessen.“ Von offizieller arabischer Seite, sei es die palästinensische Führung oder die ägyptische und die jordanische Regierung, „ist das Projekt ohne Abstriche begrüßt worden“. Dass Delegierte aus den palästinensischen Gebieten oder den arabischen Nachbarstaaten an der Reise teilnehmen, stand dennoch nicht zur Debatte. „Wir sind Bürger des gleichen Staates“, erinnert Schufani, der infolge der Unruhen im Oktober 2000, als elf israelische Araber bei Demonstrationen von der Polizei erschossen wurden, über „Wege des besseren Verständnisses“ nachzudenken begann. „Wir müssen einander kennen lernen, um die Krise zu überwinden.“ SUSANNE KNAUL