Vollendete Lustmaschine

Wird er zum Verschwinden gebracht oder redet er fortwährend im utopischen Sinn von sich selbst? Der menschliche Körper kann sich nicht recht entscheiden – so das Ergebnis eines Kongresses in Berlin

Den Körper zum Sprechen bringen –in der kränksten Stadt Deutschlands

von DETLEF KUHLBRODT

Ein altlinker Allgemeinplatz, der nicht mehr so hinhaut: dass der Rückzug auf den Körper und seine Sensationen eine abzulehnende Regression darstellt und Fitness-Anstrengungen nur unternommen werden, um innere Leere zu füllen oder den Traum von einer emanzipierten gerechten Gesellschaft zu substituieren. Am Wochenende jedenfalls fand an der Berliner Volksbühne ein „Utopische Körper“ betitelter Kongress statt, der sich ohne Ressentiment mit Körperbildern und -inszenierungen, ihrer Geschichte und gegenwärtigen Bedeutung beschäftigte.

Während der konkrete Leib via moderne Kommunikationstechnologien und Roboterforschung in populären Filmen sowieso immer mehr ins Verschwinden drängt, wird er andererseits zum Fetisch. So die gängige These im Kongressreader, und dort weiter: „In Fitnesskult und Schönheitsoperationen, Hochleistungsdoping und Pornografie scheinen sich utopische Körper zu realisieren.“

Ein im Verschwinden begriffener Körper redet also unaufhörlich vom Ende der Utopien; ein vorlauter Körper präsentiert sich schweigend als Utopie. Wie die in den USA gekürte „Fitnessweltmeisterin“ Ruscha Kouril, die ihre von spanisch orientierter Musik begleitete Kür vorführte. Sie hatte einen „Hardbody“ und war sehr gelenkig. Rhythmische Sportgymnastinnen und Aerobic-Sportler aus Halle waren auch da. Wirklich schön war das nur in den Rissen angestrebter Perfektion, als eine Sportlerin sich bei einer rhythmischen Formation ein bisschen versportelte und dann rot wurde im Gesicht.

Im Foyer vor dem großen Saal gab’s eine denunziatorisch „gezüchtete Körper“ betitelte Videoschleife vom Frauenkunstturnen der Olympiade 2000. Und eine Diashow mit schönen Stranddias von der Ostsee etwa. Oder auch ein „This is what Utopia looks like“ betiteltes Band der linken Berliner Videogruppe „Kanal B“. Die Gruppe „Critical Art Ensemble“ führte Shiatsu-Massagen an Leuten durch, die, während sie massiert wurden, auf Monitore schauten, in denen es um die thetisch angenommene Korrelation zwischen dem Wachstum der Kommunikations- und Informationstechnologie und dem Wachstum des Marktes für Psycho- und andere Therapien ging.

Vieles war so, dass es zunächst gut klang, aber letztlich doch irgendwie enttäuschend war, weil man’s als lesender Zeitgenossen ja doch irgendwie kannte. Gehobene geisteswissenschaftliche Unterhaltung mit den erwarteten Referenzen. Wer über utopische Körper in Filmen spricht (Georg Seeßlen), zitiert dann halt die westliche Filmgeschichte – „Frankenstein“, „Alien“, „Supermann“, „Blade Runner“ – und interpretiert das dann alles hübsch. Den einen oder anderen Vortrag meinte man schon mal gehört zu haben; wenn’s etwa gegen die amerikanischen Transhumanisten ging, die meinen, den Menschen in ein Computerprogramm einspeichern zu können zwecks Unsterblichkeit.

Über den gesellschaftlichen Stellenwert solcher Konzepte erfuhr man wenig. Es gab einen sehr konkreten psychoanalytisch orientierten Vortrag von Renate Kappes über Magersucht. Anschaulich und mit gebotener Vorsicht erklärte sie, dass das Kernsymptom der Essstörung wahrscheinlich ein nach innen gewendeter Sadismus sei. Derlei war jedoch die Ausnahme, und ärgerlicherweise gingen gerade diejenigen, die über konkrete Themen sprachen, auf Nummer sicher und schienen sich nicht für die Niederungen der Gegenwart zu interessieren.

Während der posenhaft „It always rains gold in pornotopia“ betitelte Text der Kulturwissenschaftlerin Linda Hentschel mit Baudelaire und Benjamin von der Schaulust handelte und zumindest in Erinnerung rief, dass Voyeurismus eher weiblich konnotiert ist, enttäuschte Svenja Flaßpöhlers Vortrag über „Selbstvollendende Lustmaschinen“ völlig. Mit einer gewissen Verachtung sprach sie über den pornografischen Körper als göttliches Supplement in einer Weise, als hätte sich in den letzten 25 Jahren seit Foucaults „Sexualität und Wahrheit“ überhaupt nichts verändert. Sie zitierte viel de Sade, zeigte den Trailer eines Pornofilms und erklärte, das pornografische Ideal sei der Mensch, der immer könne und wolle. Interessanter wäre es gewesen, über Porno als Mainstream, die verschwimmenden Grenzen der Pornografie, den Wegfall der Altersgrenze durchs Internet, den verschwiegenen Wirtschaftsfaktor, sich verändernde pornografische Ideale und derlei zu sprechen.

In gewisser Weise war der Kongress wie so eine Art Sampler – „the best or the worst of Utopische Körper“ – und kippte oft ins unterhaltend Beliebige. Lächerlich extreme Körpergeschichten – von „Jackass“ bis zu den Inhabern durchgeknallter Weltrekorde im Pfahlsitzen, Dauerduschen, Sich-Wäscheklammern-ins-Gesicht-Heften usw. – waren genauso wenig vertreten wie extremere KünstlerInnen, deren Performances von Schmerz, Angst, Tod, Sex oder/und Politik handeln. Marina Abramović etwa, die sich bei einer Performance mit einer Rasierklinge einen Jugostern ins Genital geritzt hatte, Elena Kovilina, die bei ihren Performances mit ihrem Leben spielt, oder der in einem seltsamen Mainstream agierende amerikanische Künstler Stellarc, der sich zuweilen an Fleischerhaken aufhängen lässt, um seinen alten Körper irgendwie zu überwinden. Ungebrochen war auch wie so häufig vom „Menschen“ die Rede, als gäbe es weder Klassen noch unterschiedliche Kulturkreise. Berlin ist übrigens die kränkste Stadt Deutschlands.