...nahm das Verbot, brach‘s


Einmal hat der Kardinal ihn einbestellt. „Da dachte ich, er will mir gratulieren.“ Eminenz gratulierte nicht

von HEIKE HAARHOFF

Der Priester vorn am Altar könnte er jetzt sein. Das Hochgebet, das der katholische Geistliche in der evangelischen Gethsemanekirche spricht, es könnte seines sein. Die Kameras, die nur in begrenzter Zahl hineindürfen, so voll ist das Gotteshaus an diesem Donnerstagabend in Berlin, könnten auf ihn, auf Hermann Münzel, gerichtet sein: wenn er es wäre, der da am Rande des ersten Ökumenischen Kirchentags in Berlin den Krug reicht und die Hostien verteilen lässt, gegen den Willen des Papstes.

So wie er immer die Hostien verteilt hat, gegen den Willen des Papstes, mehr als drei Jahrzehnte lang, sonntags in der 560-Seelen-Gemeinde Rascheid südlich von Trier, dort, wo die Landschaft des Hunsrück besonders mild ist. So wie es für ihn immer eine Selbstverständlichkeit war, dass an einem katholischen Abendmahl auch Andersgläubige teilnehmen dürfen, der offiziellen Kirchenmeinung zum Trotz. So wie er es auch in der Millionenstadt Hamburg praktiziert hat, damals während des Katholikentages 2000, mit evangelischen, alt-katholischen und tschechisch-hussitischen Pfarrerskollegen an seiner Seite. Vor den Kameras der gleichen Sender, die jetzt in der Berliner Gethsemanekirche jede Geste, jedes Wort mitschneiden. Gesten und Worte, die seine sein könnten. Hätte er nicht gelernt, sie sich zu versagen.

Hermann Münzel wurde 1960 zum Pfarrer geweiht. Er dachte, er, der kritische Katholik, der selbstbewusste Rheinländer, kenne die Spielräume des Kirchenrechts. Er hatte die öffentliche Wirkung einer ökumenischen Zelebration unterschätzt. Sie nahmen ihm Rascheid weg, seine Gemeinde, „wir sind quasi miteinander verheiratet, das Dorf und ich“. Fristlose Entlassung nach 40 Dienstjahren, weil er zusammen mit Pfarrerskollegen anderer Konfession zusammen am Altar gesprochen hatte. Per Einschreiben. Jeder weitere Dialog ausgeschlossen. Er sagt: „Jeder Gangster kriegt ein letztes Wort.“

Rascheid. Als Hermann Münzel herzog, bekam die Jugend endlich einen Ort für sich und er zum ersten Mal in seinem Leben jemanden, der ihn vermisste, wenn er sonntags mal krank oder verhindert war. Mit hunderten von Schulklassen, die er in mehr als drei Jahrzehnten hierher brachte, zimmerte er das alte Pfarrhaus zu einer Art Jugendheim zurecht und feierte mit den Rascheidern Messen, Pfarrfeste und Konzerte der örtlichen Big Band, bis er bald jeden der 560 Einwohner mit Namen kannte. Und nun sollte er nicht mehr die Kirche betreten dürfen. Drei Monate hielt er durch. Dann, im September 2000, leistete er Abbitte. Schrieb, das Kirchenrecht sei stärker als er. Der Bischof von Trier war zufrieden. Münzel durfte wieder vor den Altar treten.

Knapp drei Jahre später in Berlin sieht Hermann Münzel im grau-weiß karierten Hemd aus wie ein unauffälliger Kirchgänger in der großen Masse, die in die übervolle Gethsemanekirche drängt. Er versucht, einen Blick nach vorn zum Altar zu werfen, wo jetzt Protestanten und Katholiken am Rande von Deutschlands erstem Ökumenischen Kirchentag ihr gemeinsames Abendmahl feiern. Er sagt: „Es ist gut so. Es ist gut, dass andere es auch tun.“

Es ist wahrlich nichts Neues, diese offene Kommunion, wie manche Teilnehmer des Kirchentags glauben und wie es die hohe Medienaufmerksamkeit suggeriert. Landauf, landab widersetzen sich katholische Pfarrer seit Jahren der theologischen Auffassung des Papstes, nach der katholische Geistliche nur in Ausnahmefällen Nichtkatholiken an der Eucharistiefeier, wie das Abendmahl bei den Katholiken heißt, teilnehmen lassen dürfen. Was bleibt ihnen auch? Die Wirklichkeit in Deutschland ist nun einmal so, dass Pfarrer heutzutage schon froh sind, wenn sie ihre Messe nicht vor leeren Bänken halten oder gar aus Geldnot die Kirchen an fremde Veranstalter vermieten müssen.

Und wenn sie dann trotzdem sonntags kommen, die Kirchensteuerflüchtigen, geschiedenen Wiederverheirateten oder Katholiken mit ihren nichtkatholischen Ehepartnern: Soll man ihnen sagen, Christus wolle mit ihnen nichts zu tun haben? Na also. Und gibt es am Ende nicht nur einen Gott, an den man auf unterschiedliche Weise glauben kann? Einheit in der Vielfalt – wenn schon nicht die Bischöfe und Kardinäle, so sieht es immerhin ein großer Teil der Basis so. Fast alle jedoch, die den Widerspruch wagen, tun dies stillschweigend, im leisen Einvernehmen mit ihren Gemeinden und mit der Angst, verpfiffen zu werden. Wenn man sich aufmacht, um sie zu suchen, in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder Bayern, dann fragen die meisten besorgt, woher man ihren Namen habe. Manche sagen die Wahrheit, fügen aber sodann in harschem Ton an, dass nicht eine Silbe des Gesagten veröffentlicht werden dürfe.

Auch in der Berliner Gethsemanekirche wurde die Identität des zelebrierenden katholischen Pfarrers, Professor Gotthold Hasenhüttl aus Saarbrücken, bis zum Gottesdienstbeginn am Donnerstag gehütet, als handele es sich um die Bundeslade. Und als wolle man es sich nicht ganz mit dem Papst verderben, gaben die katholischen Reformgruppen als Organisatoren des ökumenischen Abendmahls klein bei, als die Amtskirchen ihnen bedeuteten, dieser Gottesdienst dürfe nicht zum offiziellen Kirchentagsprogramm gehören.

Hermann Münzel schafft den Weg durchs Gedränge ins Innere der Kirche nicht. Dort haben junge Frauen und Männer in T-Shirts mit der Aufschrift „Engel im Einsatz“ orangefarbene Stoffbänder verteilt, die etwa 2.000 Gläubige nun im Rhythmus des Kirchengesangs schwingen und sich später als Friedensgruß gegenseitig um die Schultern legen. Hermann Münzel beschließt, in eine benachbarte Kneipe auszuweichen. Der Gottesdienst wird auch über Lautsprecher übertragen. 68 Jahre ist Münzel alt. Er ist kein schüchterner Mensch. Er sagt: „Wer die Sanktionen der Kirche erfahren hat, der überlegt sich gut, ob er die Eucharistiefeier vor einer solchen Öffentlichkeit wiederholt.“

Zumal, wenn er damit wirklich etwas riskiert. Hermann Münzel war hauptberuflich Religions- und Geschichtslehrer an einem staatlichen Gymnasium und nur im Ehrenamt Pfarrer, als der Bischof ihn von seinen Kirchendiensten in Rascheid suspendierte. Gotthold Hasenhüttl, der Mann am Altar der Gethsemanekirche, ist Jahrgang 1933 und emeritierter Professor für Theologie an der Universität Saarbrücken. Münzel wie Hasenhüttl waren zeit ihrer Berufstätigkeit Staatsbedienstete, ihre Abhängigkeit von der Kirche war begrenzt.

Was aber, wenn einer wie der über 40 Jahre alte Pfarrer Siegfried Hellmann, der in Wirklichkeit anders heißt und in einer bayerischen Gemeinde ein volles Priestergehalt von der katholischen Kirche bezieht, in Berlin die Hostien verteilt hätte und sofort seinen Job losgewesen wäre? Was, wenn wegen des gemeinsamen Abendmahls tatsächlich jemand seine materielle Existenz verlöre?

Oder anders gefragt: Was riskiert einer wie Pfarrer Hellmann, der nicht nur ausnahmsweise und auf großer Bühne, sondern seit Jahren in seiner Gemeinde regelmäßig die ökumenische Kommunion erteilt, ja sogar im katholischen Priestergewand zum Abendmahl in die Kirche seines evangelischen Kollegen geht? Was setzt einer aufs Spiel, der Frauen am Altar das Hochgebet sprechen und Laien predigen lässt? Was treibt einen an, der dem Vatikan schon mal Briefe schreibt und anfragt, weshalb er eigentlich Menschen bestrafen soll, die ein zweites Mal heiraten und deswegen nicht mehr am Abendmahl teilnehmen dürfen?

Schon einmal war es knapp für Pfarrer Hellmann. Schon einmal hat der Kardinal ihn einbestellt. „Da war ich noch naiv“, sagt er, „da dachte ich, er will mir gratulieren, weil ich gerade einen wichtigen Titel bekommen hatte.“ Aber im Audienzzimmer ging es um anderes. Dinge, die seiner Eminenz zugetragen worden waren. Dinge, die sich nicht wiederholen dürften. Laien am Altar, Frauen, die das Hochgebet sprechen. Und bittschön keine Widerrede. „Da wird dir dann bewusst, was du in den Augen der Obrigkeit bist“, sagt Pfarrer Hellmann: „das letzte Schwein in der Hierarchie.“

Man kann hierüber mit Siegfried Hellmann persönlich sprechen, aber nur unter Zusicherung äußerster Anonymität und nur in seiner 8.000-Seelen-Pfarrgemeinde, gelegen am Rand einer bayerischen Stadt. Pfarrer Hellmann hat noch nie an einem Kirchentag teilgenommen, hat auch nicht vor, es künftig zu tun. Nicht, dass er die christlichen Massenbegegnungen für Unsinn hielte. Nicht, dass er es anderen vorwerfen würde, sich versammelt mit der Kritik an der Kirche zu beschäftigen. Aber eine Anmerkung erlaubt er sich doch: „Wie viel leichter ist es, sich von der Euphorie eines Kirchentags tragen zu lassen, als im Alltag Sachen zu verändern?“

Pfarrer Hellmann war schon über 40 Jahre alt und hatte bald die Hälfte seines Lebens bei einem Mönchsorden in Süddeutschland gedient, als er „das reaktionäre Moment der Kirche“ erkannte und beschloss, sein Kloster zu verlassen. Dort war als neuer Abt ein theologischer Dogmatiker, ein Hardliner, sagt Hellmann, eingesetzt worden: „Plötzlich sollten wir uns anmaßen zu wissen, was Gott will!“ Die Empörung ist Hellmann nach all den Jahren noch anzumerken. „Dabei wissen wir doch, dass sich die Schrift entwickelt, dass die Geschichte der Bibel ein Prozess ist.“

Ein Prozess, den Pfarrer Hellmann von nun an nicht mehr anderen überlassen wollte. Er ließ sich in die Pfarrgemeinde versetzen, erst als Kaplan und Jugendseelsorger, später dann als Pfarrer. Er kann sich einiges erlauben, sagt er, zum Beispiel im Gottesdienst erzählen, „dass das Ordinariat keine Ahnung von der Praxis hat“. Aber immer schwingt die Angst mit, dass ihn jemand verpetzen könnte. Dass es doch so kommt, wie ein guter Freund ihm halb warnend, halb scherzend prophezeit hat: Der Kardinal werde ihn eines Tages in eine Gemeinde von Gehörlosen versetzen, da könne er dann so viel reden, wie er wolle, ohne je gehört zu werden.

Pfarrer Hellmann wird weitermachen. Nur den Ökumenischen Kirchentag als Bühne, den braucht er dazu nicht.