Die Amtsfrage

Noch immer haben Frauen in den Kirchen nicht viel zu melden – und noch immer melden sie sich nicht nachdrücklich genug zu Wort, um der Genderfrage Gewicht zu verleihen

Der Glaube, Ämterseien ein Störfall der angestrebten Demokratie, ist blauäugig

Es ist und bleibt ein Anachronismus: Während Frauen die Hürden von Bildung und Wissen, von Besitz und Geld, von Macht und Stärke in der säkularen Welt Westeuropas nahezu alle genommen haben, ist in der Frauenfrage in den christlichen Kirchen wenig Bewegung zu erkennen. Hinter Gender-Mainstreaming-Konzepten hinken sie – mit wenigen Ausnahmen – deutlich hinterher. Da hilft auch die beflissene Äußerung des Präsidiums des Ökumenischen Kirchentages kaum, Geschlechtergerechtigkeit sei selbstverständlich „eine Querschnittsaufgabe“ der Berliner Veranstaltung. Und so gibt es zwar seit einiger Zeit evangelische Bischöfinnen, ist der neue Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland mit Barbara Rinke endlich eine Frau. Doch das sagt viel und wenig zugleich. Denn was heißt es schon, wichtige Ämter zu besetzen – schließlich trägt die Form der Amtsausübung durch Frauen nur allzu oft dazu bei, dass es mit der Gleichberechtigung in den Kirchen nicht vorangeht.

Diese These ist nur auf den ersten Blick gewagt. Schon die säkularen Emanzipationsbestrebungen der Frauen hatten mit der Amtsfrage ganz eigene Hürden zu überwinden: Denn wenn einerseits klar war, dass es ohne den Griff nach der Macht keine Freiheit geben würde, dass nur so durchsetzbar war, was Frauen wollten, war doch anderseits schnell offensichtlich: Das Amt – einmal in Frauenhand – entwickelte die ganz eigene Macht, Frauen auch zu korrumpieren. Bis heute ist das zu erkennen. Oder ist zum Beispiel die CDU-Vorsitzende Angela Merkel eine Garantin für die Besserstellung von Frauen in dieser Gesellschaft geworden? Tragen ihre politischen Konzepte zu einer Stärkung der Frauenrolle im öffentlichen Raum bei? Wohl kaum.

Es ist also mehr als fraglich, ob alle Genderprobleme in der Kirche damit gelöst wären, würden nur mehr Frauen in den freikirchlichen Gemeinden, orthodoxen oder katholischen Kirchen machtvolle Positionen besetzten. Es wäre nicht fraglich, wenn Frauen sich – einmal zu Amt und Würden gelangt – konsequent für ihre Schwestern verwenden würden und mit herzlicher Radikalität dafür sorgten, dass in Massen Geschlechtsgenossinnen nachkämen. Wenn sie sich zweitens vom Amt und seinem ihm innewohnenden Restriktionen nicht kleinkriegen ließen. Vor allem aber: wenn sie das Gender Mainstreaming zu ihrer ganz persönlichen Sache machten. Dazu gehörte zum Beispiel, sich vom Über-Fulltime-Anspruch des Amtes zu verabschieden und stattdessen einen ganzheitlichen Lebensentwurf zu zeigen. Doch in der Realität nehmen Frauen in kirchenleitenden Funktionen – wie sie die evangelischen Landeskirchen schon vielfach zu bieten haben – bewusst Kinderlosigkeit in Kauf oder tauschen angestammte Familienrollen einfach mit ihren Männern. Ganz, wie es ihre männlichen Vorgänger von ihnen verlangten, sind sie zu 180 Prozent im Job präsent – und fühlen sich nur deshalb von ihnen akzeptiert. Ein zukunftsweisendes Modell ist das nicht.

Ein weiteres Problem kommt hinzu: Eine geradezu „gewalttätig-harmonistische Ökumene der AmtsträgerInnen“ verhindert eine echte, geschlechtergerechte Ökumene. Denn kaum je ist die laute Stimme solidarischer, machtvoller Frauen zu hören, die sich zu Wort melden, wenn anderen Frauen im und durch das System Unrecht geschieht. Zwei Beispiele: Jüngst verstarb die evangelische Theologin Dorothee Sölle. Eine politische Mystikerin, feministisch, radikal, weltweit bekannt. Nie bekam sie im Verlauf ihres Lebens einen Lehrstuhl in Deutschland. Die eigene Kirche grenzte sie aus, wo immer möglich. Diese Frau war so manchem – und mancher (!) – peinlich und unbequem. Doch was geschah nach ihrem Tod? Wer die Nachrufe las, konnte meinen, sie sei seit Jahrzehnten eine geschätze Vorzeigefrau der kirchlichen Hierarchie gewesen. Als eine der wenigen benannte die evangelische Bischöfin von Lübeck, Bärbel Wartenberg-Potter, in ihrer Beerdigungspredigt ehrlich Konflikte und bekannte sich doch zur Freundin und Lehrerin Sölle. Dies war ein hoffnungsvolles Zeichen: Frauen können auch im Amt ihre Unbestechlichkeit wahren – wenn sie wollen.

Beispiel zwei: Die römisch-katholische Kirche – seit Jahrhunderten Garantin für Ignoranz in der Genderfrage – ist seit Juni letzten Jahres um sieben Priesterinnen reicher. Theologinnen, Philosophinnen und Ordensfrauen ließen sich 2002 auf einem Donauschiff weihen und deklarierten so die Besetzung von kirchlichen Ämtern, die es für sie auf dem Papier bis heute nicht gibt. Fast ein Jahr ist das nun her. Ein Jahr, in dem die sieben nicht nur positive öffentliche Aufmerksamkeit errangen, sondern innerkirchlich kaltgestellt wurden – schon wenige Wochen nach der Weihe durch ihre offizielle Exkommunikation durch den Vatikan.

Eine nennenswerte Unterstützung für den Freiheitskampf dieser sieben Frauen von Reformgruppen oder einzelnen Frauen hat es in diesem Jahr nicht gegeben. So, wie die offenbar männerdominierten Bewegungen „Wir sind Kirche“ und „Initiative Kirche von unten“ lieber diplomatische Annäherungsgespräche mit Bischöfen führen, haben es auch katholische Frauen mehrheitlich nicht geschafft, sich mit denen, die sich einfach ihr Menschenrecht nahmen, zu solidarisieren.

Natürlich: Dafür gibt es „gute“ Begründungen. Etwa die, frau solle gar nicht erst in Kirchenämter streben. Kirche müsse von unten wachsen – Ämter seien der Störfall der erstrebten Demokratie. Doch ist es blauäugig zu glauben, es könne eine Kirche ohne Ämter geben. Anstatt von einer Kirche ohne Hierarchien zu träumen, sollten sich die Reformbewegungen intensiver damit befassen, welch veränderndes Potenzial in einer Gender-orientierten Amtsführung läge.

Auch kirchliche Amtsträger und Amtsträgerinnen aus den Schwesterkirchen traten nur in Einzelfällen öffentlich für die sieben ein. Mehrheitlich herrschte beredtes Schweigen. Ein unausgesprochener Konsens kam zum Tragen: Man mischt sich nicht in die „inneren Angelegenheiten“ der anderen ein. So ist das eben mit der „gewalttätig-harmonistischen Ökumene der AmtsträgerInnen“. Sie ließe sich auch Verrat an der Sache der Frauen nennen.

Eine „gewalttätig-harmonistische“Ökumene verhindert eine geschlechtergerechte Ökumene

Allerdings begann auch der Kampf der Frauen für mehr säkulare Gleichberechtigung Anfang des 20. Jahrhunderts als Hürdenlauf. Die Suffragetten mit ihren Demonstrationen für das Frauenwahlrecht wurden nicht nur von Männern für verrückt gehalten. Nein, vor allem Frauen waren es, die in bürgerlichen Damensalons die Distanz zu ihren Schwestern auf der Straße pflegten – um anschließend nicht selten von deren Kampf zu profitieren, indem sie schließlich die Ämter besetzten, für die die Straßenkämpferinnen sich stark gemacht hatten.

Bleibt also auch heute noch manche Enttäuschung zu verkraften. Der Fortschritt war immer schon eine Sache, die von wenigen erkämpft und anschließend von vielen genossen wurde. In den Kirchen gilt das allemal. BRITTA BAAS