Seifenoper aus der Waschstraße

Kurz vor der Abwicklung glänzt das Schauspiel Nordhausen noch mit einer Uraufführung: „Clean-up. Aktion 2,99“

Eine „borstenlose zärtliche Autowäsche mit weichem Textil“ verspricht der Nordhäuser „VIP-Autowaschsalon“, und auch die Konkurrenz von der örtlichen Jet-Tankstelle schläft nicht. Dort können Theaterbesucher ihre Karossen einer „Katzenwäsche“ zum Preis von 2,99 Euro unterziehen – gegen Vorlage einer Postkarte, mit der das Theater Nordhausen für die letzte große Schauspielpremiere seiner 86-jährigen Geschichte wirbt.

Auch auf der Bühne sucht Autowäscher Horst die Konkurrenz mit einer Offerte für 2,99 Euro auszustechen. „Clean-up. Aktion 2,99“ heißt also das Stück, mit dem das Theater Nordhausen sein Projekt einer „Deutschland-Tetralogie“ zum Abschluss bringt: vier Stücke in vier Spielzeiten über die deutschen Zustände des vergangenen Jahrhunderts und zum Abschluss jetzt eine Uraufführung. „Das wiedervereinigte Deutschland: Aufbruch, Umbruch oder Abbruch“ war das Thema des ausgeschriebenen Stückewettbewerbs, den der Berliner Dramaturg und Autor Uwe Gössel mit einer Seifenoper aus der Waschstraße gewonnen hat.

Gleich dreimal lässt Gössel seine Heldin Marie als neue Lola durch Nordhausen rennen. Wie in dem Kultfilm aus den späten Neunzigern zeigt er, wie Zufälle zu Schicksal werden. Es beginnt höchst banal, ein Auto bleibt in der Waschstraße stecken. Beim ersten Mal passiert überhaupt nichts, die Maschinen laufen ganz von selbst wieder an. Beim dritten Mal will Besitzer Horst persönlich zur Rettung schreiten und wird von den Bürsten zerquetscht. Ausgespielt wird nur die mittlere Version. Diesmal tritt Sohn Berto auf den Plan, den Robert Frank als einen jener Nachwende-Glücksritter gibt, die glauben, sie hätten vom Kapitalismus alles verstanden. Dieser Berto begibt sich in die feuchte Höhle und zerrt die wild zappelnde Marie aus ihrem Auto. Die beiden kommen sich näher, und nach einer Reihe von Verwechslungen begegnen sich am Ende auch die beiden Eltern, Bertos Vater Horst und Maries Mutter Renate. Dabei stellt sich heraus, wie sich die beiden ihren Lebenslauf zurechtgebogen haben. Die aufrechten Kommunisten, die einst ebenfalls ein Paar waren, glaubten am Ende wohl wirklich, der jeweils andere habe sich kurz vor dem Mauerbau in den Westen abgesetzt.

Der junge Regisseur Arne Dechow inszeniert das Stück als tragische Klamotte. Bühnenbildner Jan Freese hat dazu ein Bühnenbild gebaut, das die ganze Trostlosigkeit der Nachwende-Existenz im vergessenen Nordthüringen erahnen lässt. Während sich unten in der Waschstraße die Leidenschaften austoben, nimmt oben in drei kleinen Zimmern der trübe Alltag wortlos seinen Lauf. Im Wohnzimmer eines alten Ehepaars konstatiert der Zivi ungerührt den Tod des Gatten und packt das Essen auf Rädern wieder ein, derweil sich das Mädchen im öden Jugendzimmer nebenan seelenruhig die Pulsadern aufschlitzt.

Keiner wird behaupten können, das Theater Nordhausen spiele mit einem solchen Stoff an den Verhältnissen vor Ort vorbei – ein Vorwurf, den sich das Ensemble in den vergangenen Jahren oft genug anhören musste. Nach den Höhenflügen des Nachwendejahrzehnts, als Regiestars wie Michael Schindhelm oder Armin Petras das Nordhäuser Schauspiel in den Blickpunkt des gesamtdeutschen Feuilletons rückten, ist das Ensemble in den letzten Jahren wieder auf dem harten Boden der Theaterprovinz aufgeschlagen. Die Hoffnungsträger sind weitergezogen.

Zurück bleiben eine Stadt und ein Theater, die zu einer Kommunikation offenbar nicht mehr fähig sind. Jetzt will die Stadt den Intendantenposten abschaffen und durch die Position eines Geschäftsführers ohne künstlerische Entscheidungskompetenz ersetzen. Das Ensemble des Schauspiels, das oft genug vor halb leerem Saal spielen musste, wird nach der Sommerpause halbiert und im kommenden Jahr gänzlich abgeschafft. Stattdessen behält die Stadt mit ihren 40.000 Einwohnern lieber das weit kostspieligere Opernensemble. Im Gegensatz zu Schauspielern sind Orchestermusiker in Deutschland unkündbar.

RALPH BOLLMANN