Boys of Summer

Das langweiligste Jahrzehnt aller Zeiten: Rich Cohen erzählt in seinem Debüt „Lake Shore Drive“ lang und breit vom Aufwachsen in den Achtzigern

Es ist eine allzu bekannte Situation. Man steht auf einer Party herum und irgendjemand erzählt eine Geschichte. Am Anfang hört man interessiert zu. Nach einer Weile fragt man sich, worauf diese Geschichte jetzt hinausläuft. Die Geschichte wird länger und länger und man begreift, dass sie kein Ende hat und auch keine Pointe. Ihre Wichtigkeit erschließt sich nur dem Erzähler, niemandem sonst. Auf Partys sagt man dann irgendwann höflich „so so“, geht weiter und unterhält sich mit jemand anderem. Doch was macht man, wenn man durch ein Buch in so eine Situation gerät?

Die Geschichte von Rich Cohens „Lake Shore Drive“ ist einfach. Da gibt es den Ich-Erzähler, der genauso heißt wie der Autor. Er verlebt seine Pubertät in den Achtzigerjahren in einem wohlhabenden Vorort von Chicago. Sein bester Freund heißt Jamie, geht auf die gleiche Schule, kommt aber aus nicht ganz so guten Verhältnissen. Die beiden verleben einen letzten Sommer, bevor die Schule vorbei ist. Als schließlich das College beginnt, zieht der Erzähler nach New Orleans, und Jamie bleibt zurück. Wenn sie sich wieder treffen, wird nichts mehr so sein, wie es einmal war.

Ein schönes Thema eigentlich. Der erste Sex, das erste Mal Autofahren, der erste Alkohol, die ersten Drogen, sich das erste Mal allein in die große Stadt begeben, um auszugehen, eine Jungsfreundschaft, die den Weg aus dem Damals in das Heute nicht überlebt. Rich Cohen ist allerdings kein Erzähler, er ist ein Aufzähler. Endlose Reihen von Freunden, die mit Namen versehen werden, zusammen mit irgendeiner schnell aufs Papier geworfenen Charakterisierung, einem Spitznamen beispielsweise oder einer auffallenden Eigenschaft. Kaum hat man sich einer dieser Figuren genähert, ist sie auch schon wieder verschwunden, um nie wieder aufzutauchen. Kein einziger dieser Figuren gewinnt Tiefe, keine einzige der dazugehörigen Geschichten wird ausgeführt. Seitenlang wartet man darauf, ob die Fäden nicht vielleicht doch noch eine gewisse Verwicklung erleben. Aber nichts da.

Man fragt sich, ob ein Konzept dahintersteckt. Die Langeweile, das Nichterleben von Dingen möglichst langweilig so beschreiben? Die Inkohärenz des postmodernen Lebens inkohärent beschreiben? Eine ganz neue Form des – Realismus? Zu viel der Ehre. Mitunter hat man den Eindruck, Rich Cohen wüsste sehr genau, was für einen Quark er da anrührt. An einer Stelle heißt es etwa: „Jetzt bin ich an einem Punkt der Geschichte angelangt, an dem ich etwas über meinen Vater und darüber erzählen sollte, wie es kam, dass wir uns zerstritten und beschimpften.“ Er weiß, dass er eigentlich „etwas erzählen sollte“. Macht er aber nicht.

Nun spricht im Pinzip ja nichts dagegen, solche Bücher zu schreiben. „Lake Shore Drive“ ist offensichtlich autobiografisch, und jeder Autor sollte ein Buch über seine Kindheit und Jugend schreiben, warum denn auch nicht. Danach ist er das Thema dann hoffentlich los. Dass dieses Buch in den USA herausgekommen ist, wundert auch nicht, schließlich besteht die Möglichkeit, dass sich der eine oder die andere in dieser Geschichte wiederfindet, genug Charaktere tauchen schließlich auf.

Was allerdings den S. Fischer Verlag getrieben hat, dieses Buch auf Deutsch herauszubringen, entzieht sich meinem Verständnis. Sind die Rechte an diesem Buch erworben worden, als es noch gar nicht geschrieben war? Werden Romane über das Aufwachsen in den Achtzigern als Lizenz zum Gelddrucken gehandelt? TOBIAS RAPP

Rich Cohen: „Lake Shore Drive“. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2003, 224 Seiten, 19,90 €