Geistesblitze aus Aloha-Land

aus Jena MATTHIAS BRAUN

Christoph Schwind fühlt sich unwohl. Lästige Krümel liegen vor ihm auf der Schreibtischplatte. Mit dem Ärmel seines cremefarbenen Jackets wischt er deshalb unablässig über das hellbraune Holz. Immer wieder. Aber die Krümel verschwinden nicht. Das liegt daran, dass niemand außer Schwind die Krümel sehen kann. Es gibt sie nur in seinem Kopf. Im Kopf des zweiten Bürgermeisters der thüringischen Stadt Jena. Während er über den Tisch feudelt, sagt Schwind: „Ich hoffe, dass man sich später an einige meiner Entscheidungen erinnert.“

Schwinds Verwirrung hat mit einem 75 Jahre alten Deutsch-Amerikaner zu tun. Einem ehemaligen Jenenser, der ein Buch geschrieben hat mit dem Titel: „Neun Leben sind nicht genug – Mein Weg vom Stasi-Häftling zum Erfolgsunternehmer in Silicon Valley“. Ein Millionär, der in der ehemaligen Industriestadt als einfacher Dreher angefangen hat. Karl Heinz Johannsmeier. Aus Amerika. Karl wie Bier. Und Heinz wie Ketchup. Wie viele Millionen er gemacht hat, das weiß niemand in Jena so genau. Wichtig ist, Johannsmeier will der Stadt etwas von seinem Vermögen abgeben. Einen sechsstelligen Betrag, wie es offiziell aus dem Rathaus heißt. Davon will er ein Denkmal bauen, dass an den 17. Juni 1953 erinnert. Vor 50 Jahren rollten russische Panzer in der DDR einen Arbeiteraufstand nieder. Und da es schon eine Weile her ist, dass Karl Heinz für sein Geld hart arbeiten musste, hatte er die Muße, das Denkmal eigenhändig zu entwerfen. Der spendable Auswanderer ist beides in einem – Mäzen und Künstler. „Ich nehme mir die Freiheit, vielleicht auch die Frechheit, etwas zu schaffen und es der Stadt zu überlassen“, sagt er. Heinz gibt es nur im Doppelpack. Nicht alle macht das glücklich.

Eine umgekippte Straßenbahn

Aber Johannsmeier fühlt sich wohl. Auch mit seiner Vergangenheit. Während einem seiner seltenen Besuche zeigt der erfolgreiche Unternehmer die Orte, an denen er den 17. Juni erlebt hat. Johannsmeier war damals 25 Jahre alt. Er ließ sich gerade zum Dreher ausbilden. Am Vormittag des 17. Juni saß er im Klassenzimmer der Jenaer Fachschule und paukte. „Es lag etwas in der Luft, wir waren erregt, aber alle redeten von etwas anderem“, erinnert er sich. Gegen Mittag machte das Gerücht die Runde, die Kohlearbeiter zögen mit Schaufeln bewaffnet zur städtischen Parteizentrale. Den jungen Mann hielt es nicht länger. „Je näher ich dem Stadtzentrum kam, desto mehr Menschen liefen in Richtung Parteizentrale“, erzählt er. Als er den Vorplatz erreichte, war dieser übersät mit losem Papier. Immer neue Akten wurden aus den Parteibüros hinunter auf die Straße geworfen. Ein junger Genosse wurde durch die Menge getrieben. Er blutete am Kopf. Die Leute johlten. Dann kamen die Panzer. Rennen. Schreien. Johannsmeier half eine Straßenbahn umzuwerfen. Als Barrikade. Dann ging er heim und hörte Rias.

Zum Konflikt mit dem Staat kam es erst später. Johannsmeier wird für sechs Jahre ins Zuchthaus geschickt. Besitz von Westgeld. Nach seiner vorzeitigen Entlassung flieht er in die Bundesrepublik, gestaltet in Karlsruhe Leimtuben. „In dieser Zeit bewegte mich nur ein Gedanke: Wie hole ich die in der DDR verlorenen Jahre wieder auf?“, sagt er heute.

1960, steigt er in eine Superconstellation und fliegt in die USA. Dort angekommen, verkauft er nach wenigen Jahren sein erstes Patent an Hewlett Packard. Gründet mit dem Geld eine Firma und verkauft sie später. Gründet eine neue, verkauft wieder. „Der Unterschied zwischen Deutschen und Amerikanern ist, dass wir freier arbeiten.“ Er sagt wir.

Wenn Christoph Schwind an Johannsmeier denkt, verschwinden fast alle Krümel. Nur ein paar bleiben. „Der hat es mit der Muttermilch aufgesogen, sich durchzusetzen“, analysiert Schwind und pickt mit dem Zeigefinger letzte unsichtbaren Bröckchen vom Tisch. Er sagt es kühl. Dann sagt er noch: „Ich beneide ihn um nichts. Sein Weg wäre nicht meiner gewesen.“ Johannsmeier ist Abenteurer und DDR-Opfer. Schwind ist weder das eine noch das andere so richtig. „Ich gehöre zu denen, die vielleicht geholfen haben, die DDR etwas länger überleben zu lassen.“ Leise sagt er das. Doch hat der 53 Jahre alte Schwind sich etwas vorzuwerfen? Zur Wende saß er mit am Runden Tisch. Auch vorher, sagt er, habe er den Mund aufgemacht.

Der oberste Stadtentwickler macht das Tempo des Amerikaners kritiklos mit. Erst vor gut einem Jahr beauftragte der Oberbürgermeister Schwind, das Denkmalprojekt zu reißen. Seitdem ist er einer der Projektkoordinatoren. Johannsmeiers Adlatus vor Ort, sozusagen. Und weil das Geld nur fließt, wenn Johannsmeier mit seinem Entwurf zum Zuge kommt, bleibt keine Zeit für Fragen. „Die Öffentlichkeit hatte nicht den Wunsch, beteiligt zu werden“, sagt Schwind. Deshalb redeten nur Fachleute über Aussehen und Standort des Denkmals. Bevor die Stadtratsfraktionen sich am 14. Mai für den Bau entschieden hat, gab es genau eine öffentliche Anhörung.

„Die Diskussion wird extrem verkürzt“, kritisiert der Jenaer Osteuropahistoriker Joachim von Puttkamer. Genauso wichtig wie das Denkmal selbst sei es, öffentlich darüber zu reden, wie, wo und wessen die Stadt gedenken wolle. „Johannsmeier interessiert eine solche Auseinandersetzung nicht, deswegen umgeht er sie“, sagt Puttkamer. Auch die Widmung, die auf Beschluss der Jenaer Stadträte das Denkmal kommentieren soll, bleibt im Ungefähren: „Den Verfolgten der kommunistischen Diktatur 1945–1989“. Davon könne sich fast jeder angesprochen fühlen, sagt Puttkamer. Dem grünen Stadtrat Marco Schrul ist das Denkmal schlichtweg zu pompös. „Seine Größe steht in keinem Verhältnis zu dem, was seit der Wende an anderen Denkmälern gebaut worden ist“, sagt er. Nirgendwo in der Stadt werde an die Russen, Polen, Italiener und Franzosen erinnert, die während des Zweiten Weltkriegs in Jena zur Arbeit gezwungen worden seien. Johannsmeiers 17.-Juni-Monument dagegen wird, so ist es beschlossen, mitten im Stadtzentrum stehen. Vier beleuchtete übermannshohe Glasquader neben dem alten Rathaus. Rundherum eine Wasserfläche, Bäume und Bänke. „Seit einem Jahrzehnt findet in Jena eine einseitige Aufarbeitung statt“, sagt Schrul. So wie das Johannsmeier-Denkmal zustande gekommen sei, verhindere es Aufarbeitung eher, als dass es sie fördere. „Ich bin nicht gegen das Denkmal. Aber ich bin gegen Protzerei“, sagt der 30-jährige Schrul.

„Ich muss mal ins Meer springen“

Johannsmeier ist das egal. Aus dem fernen Hawai, wo er sich gern aufhält, schickt er Schwind und dessen Kollegen ab und an E-Mails mit Geistesblitzen: „Den Platz vor dem Rathaus sollten wir Freiheitsplatz benennen.“ Wir. Karl Heinz und seine Leute. Alle in einem Boot. Er, der Kapitän. Während die Jenaer Verwaltung sich dreht, um an Johannsmeiers Geld zu kommen, schreibt der aus der sonnigen Ferne: „Viel Spaß bei der weiteren Arbeit, ich muss jetzt mal ins Meer springen. Aloha.“

Um die Bedenken der Jenenser zu zerstreuen, hat Johannsmeier eine Heiligenfigur parat. Sie heißt Stanley Saitowitz, Architekt in San Francisco. Der hat in Boston das New England Holocaust Memorial gebaut. Johannsmeiers 17.-Juni-Quader sind den leuchtenden Glassäulen in Boston nachempfunden. Als während der einzigen öffentlichen Anhörung Kritik am Aussehen des Jenaer Denkmal laut wurde, parierte Johannsmeier mit dem Hinweis, Saitowitz kenne den Entwurf und finde ihn gut. Es gibt Leute, die möchten das glauben. Schwinds Bürgermeisterkollege Albrecht Schröter (SPD) gehört dazu. Wenn der frühere Pfarrer und heutige Lokalpolitiker Schröter auf Johannsmeier trifft, verbeugt er sich und haucht „Maestro“. In Schröters Büro steht ein Bildband mit Malereien des Deutsch-Amerikaners. Schröter blättert gern darin. „Ich habe keinen Grund, an Johannsmeier zu zweifeln“, sagt er.

So weit würde Schwind nicht gehen. „Ich hoffe, dass das die richtige Form an der richtigen Stelle ist“, fällt ihm zum Entwurf ein. Als er das sagt, scheinen die Krümel verschwunden. Kein Wischen, kein Picken mehr. Dafür ein fester Blick. „Ich bin angetreten mit dem Ziel, Aufgaben, die mir übertragen wurden, sehr gut zu erfüllen“, diktiert Schwind. Das ist seine Rolle. Kann er sicher sein, dass Saitowitz Johannsmeiers Entwurftatsächlich so toll findet? Schwind schaut irritiert. Er ist der aussichtsreichste CDU-Kadidat für das Oberbürgermeisteramt. In spätestens drei Jahren tritt der alte ab. Das einzige, was er bis dahin vermeiden muss, sind Fehler. „Ja“, sagt er endlich. „Nicht direkt“, schiebt er hinterher. Der Kontakt mit Saitowitz sei stets über Johannsmeier gelaufen. Schwinds Blick vermeidet den Tisch, sucht das Weite. Er schaut aus dem Fenster. Vorbei an einem großen Wandkalender. „Raum für Effektivität“, steht da.

Der Spruch würde Johannsmeier gefallen. Er hat noch lange nicht genug. Wen er in sein Jenaer Hotelzimmer bittet, dem zeigt er Skizzen für sein Denkmal. Wie ein ungeduldiger Junge blättert er Bleistiftzeichnungen und Computerausdrucke durch. Dann wirft er sie auf einen Tisch. Streckt sich. Und sagt: „Wenn ich hier fertig bin, dann baue ich vielleicht was in Berlin.“