Rum statt Coca-Cola

Markscheider Kunst wären eine ganz normale russische Ska-Kapelle – hieße ihr Leadsänger nicht Seraphim Makangila

Elf Uhr früh in einer Wohnung in Hamburg-Altona. Ein russischer Freund hat die Musiker von Markscheider Kunst zu sich nach Hause eingeladen, zu siebt haben sie hier übernachtet. Gerade sind sie als inoffizielle Botschafter St. Petersburgs in der Hansestadt aufgetreten, beim „Alternativa Festival“ zur 300-Jahr-Feier ihrer Heimatstadt. Doch die Veranstalter konnten oder wollten für das Hotel nur am Abend des Konzerts aufkommen.

Einer jedoch fehlt in der Runde: ihr kongolesischer Leadsänger Seraphim Makangila. Kurz vor der Abreise wurden ihm in Petersburg auf offener Straße Geld, Uhr, Pass und sogar die Schuhe gestohlen. „Der Polizist brauchte das Geld, und Seraphim war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort“, kommentiert die Band trocken. Ohne ihren Kollegen wären Markscheider Kunst wohl nur eine weitere ganz normale russische Ska-Kapelle. Doch Seraphim Makangila brachte sie auf eine ganz neue Spur: Mit ihrem Molotowcocktail aus kubanischen Rhythmen mit Punk-Attitüde, aus karibischen Bläsersätzen und kongolesischem Surf-Soukous gelten Markscheider Kunst nun als beste Afrosalsa-Band Russlands.

Schon seit einigen Jahren tourt die afrokaribische Rootskapelle auch durch Deutschland; selten mit großen Gagen und schicken Hotels, und in St. Petersburg stand sie schon mit Manu Chao, Marc Ribot oder den Skatelites auf der Buehne. Doch von den russischen Medien hält Sergei nicht viel: „Das Fernsehen besteht nur noch aus Zucker und Titten.“ Unlängst hat Sergei bei einem privaten Radiosender angefragt, ob er für sie eine Weltmusiksendung produzieren dürfe. Man erwiderte ihm, er solle sich erst mal um einen Sponsor kümmern. „Würde ich Shakira spielen, hätte ich schnell einen Sponsor gefunden“, ist sich Sergei sicher. Früher war zumindest das besser, glaubt er: „Ich hatte noch das Glück, in meiner Kindheit Irakere oder Arturo Sandoval im Radio hören zu können. Daher weiß ich heute, was eine Rumba ist und was Bullshit.“ Im Sozialismus wurde eine enge Verbindung zu Kuba gepflegt. Deshalb liefen im russischen Radio statt der Rolling Stones oder der Beatles kubanische Klassiker.

Ansonsten aber hält sich Sergeis Nostalgie nach der alten Sowjetunion stark in Grenzen. Markscheider Kunst sind schließlich ganz und gar Kinder der neuen Zeit, ein Gewächs der russischen Rock-, Punk- und Reggaeszene. Seine Initiation erfuhr Sergei in den Neunzigern in St. Petersburg in einem Club nemens Tam Tam. „Ich danke Gott dafür, dass ich in diesem Umfeld aufwachsen konnte“, erzählt er, „alle traten dort auf, bis auf die Nazibands. Nur die Musik zählte hier, nicht das Saufen.“

Mitte der Neunziger studierten die Musiker von Markscheider Kunst noch – Bergbau, daher der Name der Band, der altdeutsche Begriff für Vermessungskunde. Nebenbei spielten sie Rockabilly, später Blues. „Als wir dann mit Blues anfingen, merkten wir, dass uns jemand fehlte, der so etwas richtig singen konnte. Seraphim, der aus dem Kongo kam, studierte damals mit uns, also fragten wir ihn. Er spielte damals gerade in einer kongolesischen Band, die sich aber mal wieder zerstritten hatten, weil der eine aus Brazzaville kam und ein anderer aus Kinshasa.“ Sergei lacht. „Seraphim kam dann einmal zur Probe, hörte zu, und als wir fertig waren, fragte er: Kennt ihr Soukous? So kamen wir zur kongolesischen Rumba.“ Von da an beschäftigten sich die sieben Russen eingehender mit afrokubanischer Musik, entdeckten Salsa, Merengue und Cumbia und vor allem Reggae.

Ihren größten Hit, der ihnen ihren legendären Ruf einbrachte, gelang Markscheider Kunst dann mit dem Song „Money“. Und Markscheider Kunst hatten Glück: Als eine der wenigen russischen Bands kamen sie über Umwege kürzlich an einen Vertrag mit einem internationalen Plattenkonzern. Nun erscheint ihr aktuelles Album „Krasivosleva“ nicht nur in Russland, sondern zeitgleich auch in neun europäischen Ländern.

Durch ihren Song, der kürzlich auf der CD-Compilation „Russendisko“ erschienen ist, sind Markscheider Kunst zumindest in Deutschland schon eingeführt. Die gleichnamige Partyreihe um den Schriftsteller Wladimir Kaminer und Yuriy Gurzhy in Berlin sorgt mittlerweile in ganz Deutschland für ausverkaufte Clubs und hat das Interesse am russischen Underground befördert. Einmal war auch Sergei im Berliner Hauptquartier der Russendisko, dem Kaffee Burger. Doch er war nicht beeindruckt: „Es sieht genau so aus wie in einer Moskauer Diskothek im Jahr 1986“, hat er festgestellt. „Die Leute sind wohl etwas nostalgisch. Sie kommen, um ein bisschen Heimat zu finden, und was braucht man dafür? Trinken, ficken, essen und russische Popmusik. Die Deutschen mögen das ja lustig finden. Aber sie mussten nicht 1986 in Moskau leben und wissen nicht, wie es in diesen Diskotheken war: Mit viel Mafia, nicht so schön das alles.“

JAY RUTLEDGE

Markscheider Kunst: Krasivosleva (Virgin)