„Vieles findet im Dunkeln statt“

Welche Bilanz zieht der Chefredakteur des WDR, Jörg Schönenborn, aus der Kriegsberichterstattung aus dem Irak? Ein Gespräch über „eingebettete“ Journalisten, mediale Inszenierungen und die wichtige Rolle der arabischen Sender

Kurz vor Beginn des Irakkriegs haben wir mit WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn über zu erwartende Schwierigkeiten bei der Kriegsberichterstattung gesprochen (taz vom 18. März 2003). Vier Wochen nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen blickt Schönenborn zurück.

taz: Herr Schönenborn, sind Sie zum Fan oder zum Gegner von „eingebetteten“ Korrespondenten geworden?

Jörg Schönenborn: Ich denke, dass das ganz klar ein zweischneidiges Schwert ist – aber unter dem Strich ein Gewinn für die journalistische Erkenntnis.

Wieso?

Wir haben ja die Inszenierung gesehen: Walter Rogers auf CNN und die Panzerarmeen in der Wüste: Das war das, wovon die US-Generäle geträumt hatten. Auf der anderen Seite haben wir so aber auch erfahren, wie US-Soldaten Kleinbusse mit Frauen und Kindern stürmen oder britische Einheiten eigene Leute unter Feuer nehmen. Ich weiß nicht, ob wir das ohne die Embeddeds erfahren hätten.

Welche Rolle haben dabei denn die arabischen Sender gespielt, die nicht „eingebettet“ waren?

Da haben wir wohl al-Dschasira etwas überschätzt. Am Ende war al-Arabia doch wichtiger. Aber in der Summe waren diese Sender auch eine wichtige Quelle.

In diesem Krieg sind Journalisten getötet worden – auch westliche Reporter durch US-Truppen. Hat sich für Sie der Beschuss des Palestine-Hotels in Bagdad, in dem zahlreiche Journalisten arbeiteten, befriedigend aufgeklärt?

Dazu kann ich nichts sagen, da hat sich für mich kein komplettes Bild ergeben. Ehrlicherweise muss man aber sehen, dass in jedem Krieg Journalisten gefährdet sind und auch getötet werden. Im Verhältnis sind in Afghanistan mehr Kollegen ums Leben gekommen. Das war jetzt nicht das Furchtbarste, was wir im Irak erlebt haben. Aber es war schlimm genug.

Wie sich jetzt zeigt, hat die US Army manche Ereignisse auch gezielt für die Medien in Szene gesetzt – wie die angebliche Befreiung der Soldatin Jessica Lynch. Die BBC hat mittlerweile nachgewiesen, dass Lynch gar nicht in unmittelbarer Gefahr war.

Ich habe aber auch viele Inszenierungen gesehen, die sich selbst entlarvten. Nehmen Sie die Szene, wo britische TV-Teams vor den Soldaten in einem Palast von Saddam waren und in aller Ruhe zeigen konnten, wie die Soldaten stürmen. Allerdings haben wir insgesamt gelernt: Inszenierung gehört zur Kriegsführung, Journalisten sollen instrumentalisiert werden. Dafür haben sich viele Kollegen, die in solchen Situationen betroffen waren, ziemlich gut geschlagen.

Als der US-Vormarsch in den ersten Kriegstagen stockte, macht sich bei vielen deutschen Sendern so etwas wie Schadenfreude breit.

Schadenfreude ganz bestimmt nicht. Aber manches Urteil war vielleicht ein bisschen schnell. Vor dem Krieg konnte man klar Position beziehen. Als der Krieg einmal begonnen hatte, konnte man nur hoffen, dass er schnell vorbei ist – letztlich musste man also den Amerikanern die Daumen drücken. Jetzt sind wir in der dritten Phase, und da habe ich noch kein Urteil. Ich bin gespannt, wie das in zwei oder drei Jahren aussieht.

Ärgert es Sie, dass sich die amerikanische Administration heute über jeden Zweifel erhaben fühlt, weil da schließlich ein Diktator vertrieben und ein Volk befreit wurde?

Dass muss man trennen: Es war ein Krieg gegen den Mehrheitswillen der Völkergemeinschaft. Und daran ändert sich auch jetzt nichts. Aber vielleicht muss man irgendwann auch anerkennen, dass im Irak weniger Menschen leiden. Das macht den Krieg im Nachhinein nicht richtig, sollte einen vielleicht aber vorsichtiger bei vorschnellen Urteilen machen.

Dafür findet Berichterstattung aus dem Irak ja auch im deutschen Fernsehen nicht mehr in der ersten Reihe, sondern wieder auf den hinteren Rängen statt.

Es gibt ja zwei Kriterien: Das eine ist die Nachrichtenhierarchie, da steht das Thema Irak in der Tat nicht mehr jeden Tag oben. Das ist richtig so, wir haben auch andere Probleme. Die zweite Frage lautet: Kann sich jeder informieren, der sich informieren möchte? Und da können wir ziemlich selbstbewusst sagen: „Weltspiegel“ jede Woche, „Tagesthemen“ mehrfach die Woche – wir tun genug, dass sich jeder ein Bild machen kann.

Und ist – bzw. war – das ein halbwegs unabhängiges, objektives Bild?

In der Summe sicherlich. Aber es bleibt dabei: Im Krieg findet vieles im Dunkeln statt.INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG