Globale und lokale Zeichenträger

„Freie Fahrt für freie Bürger“ oder „Wir sind die Revolution“? Über 30 Künstler präsentieren in „nation“, der neuen Schau des Frankfurter Kunstvereins, Arbeiten zum Begriff der Nation. Zugehörigkeit ist nicht mehr nur eine Frage von Sprache, Kultur und Territorium, sondern auch von popkulturellen Codes

Die aggressiven Rufe der Hooligans verwandeln sich in tierische Laute

von HORTENSE PISANO

Nichts geht vorwärts. Wenn das Urlaubsfieber die deutsche Reisenation erfasst, herrscht Stau auf den Autobahnen. Irgendwo bei Euskirchen hat Videokünstler Marcel Odenbach eines dieser typischen Stau-Bilder aufgenommen. Auf den ersten Blick wenig spektakulär, eröffnet die Fotografie, derzeit Teil der Ausstellung nation im Frankfurter Kunstverein, ein breites Assoziationsfeld: Denn seit die Wirtschaftswundergeneration das Reisen entdeckt hat, bedeutet der jährliche Urlaub ein Stück mobile Freiheit: „Freie Fahrt für freie Bürger“ lautete ein gängiger Slogan der Autolobby in den 70ern. Kurz vor dem Mauerfall setzte ihn die DDR-Friedensbewegung auf ihre Plakate. Heute hängt ein Exponat im Museum Bonn. Deutschland ist vereint. Die Europäische Union wächst.

Dennoch: Entgegen der Globalisierung sei laut Kunstverein eine Rückbesinnung auf nationale Spezifika zu bemerken. Nach der erfolgreichen „deutsche malerei zweitausendunddrei“-Schau widmet sich das Haus unter der Leitung von Nicolaus Schafhausen erneut einem komplexen Thema. Der „Nationenbegriff“ war in der Geschichte einem permanenten Wandel unterworfen. Was zeichnet eine Nation aus? Eine länderübergreifende Definition gibt es nicht. Und so nähern sich die rund 30 Künstler aus West-, und Osteuropa, dem Nahen Osten und Amerika dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven.

Gleich eingangs konfrontiert Marc Bijl den Besucher mit einer lebensgroßen Lara-Croft-Plastik. In Hotpants und knappen T-Shirt ballert sich die Super-Heldin erfolgreich durch die virtuelle Welt der Computerspiele. Die Cyberfrau mit den Idealmaßen, die ihre Waffen stets abschussbereit trägt, eint eine grenzenlose Fangemeinde. Bijl hat die Kunstfigur in eine geteerte „Pechmarie“ verwandelt. „La Rivoluzione siamo noi“ (Wir sind die Revolution“) sprüht er geradezu trotzig in Anlehnung an Joseph Beuys’ gleichnamiges Selbstporträt von 1972 auf die Kunstvereins-Wand.

Während Bijl sich die gesellschaftskulturellen Symbole aneignet und sie in einen neuen Kontext verortet, arbeitet Brian Jungen globale Zeichenträger wie Nike-Sneakers in mythische Masken um: Der Schuhhals wird zum Mund, das Ledermuster zu einer Art Kriegsbemalung. Jungens ‚beseelte‘ Objekte sind eine Referenz an die „First-Nation“ seines Heimatlandes Kanada, zwischen alter und neuer Kultur will Jungen eine Brücke der Verständigung schlagen.

nation erschöpft sich aber nicht nur in einer Dekonstruktion repräsentativer Symbole. Stärker als in den vorausgegangenen gesellschaftskritischen Ausstellungen nehmen die Künstler Bezug auf die jüngsten politischen Ereignisse. Der Krieg ist in vielen Arbeiten präsent. Selbst dann, wenn er wie bei Heather Burnett nur als kurze Sequenz rückwärts fliegender Jagdbomber auftritt. Burnetts Video „Invincible Men: Ingaland“ (2003) setzt den Fokus auf nationale Machtrituale. Eindrucksvoll inszeniert sie das Aufeinandertreffen von englischen Hooligans und Polizisten. Die Kamera zoomt auf die Sicherheitskräfte, macht das immense Polizeiaufgebot transparent. Dem Spalier gegenüber stehen die Fußballfans. Durch eine Verlangsamung von Ton und Bild formt Burnett die aggressiven Zurufe der Hooligans in tierische Laute um. Emphatische Geigenmusik begleitet die Aufnahme der britischen Ordnungshüter, deren Auftreten im Film zu einem absurden Männerballett mutiert.

Als poppigen Comic-Strip bereitet dagegen Gili Dolevs Video „Promise Land“ (2002) den Konflikt zwischen Israel und Palästina auf: Da werden auf beiden Seiten Leiber in Stücke gerissen, und eine US-Reporterin berichtet „live“ über das Gemetzel. Mit bitterbösem Humor fördert „Promise Land“ die Sinnlosigkeit des Krieges zwischen beiden Religionsgemeinschaften zu Tage.

Weitaus relaxter geht es bei Josephine Meckseper zu. Auf einem gemusterten Teppich darf man Platz nehmen, um sich ihr Video „Göttliche Linke“ (2003) anzusehen: Jugendliche sitzen im Gras, das obligatorische Stirnband im Haar. Man könnte das friedliche Sit-in gut für ein Woodstockkonzert halten. Tatsächlich sind die Aufnahmen erst jüngst während einer Demo gegen den Irakkrieg in New York entstanden, Bilder einer Anti-Bush-Kundgebung in Berlin durchziehen düster die Aufzeichnung. Madonna hat es in ihrem aktuellen Videoclip vorgemacht, die klassischen Aktivisten-Accessoires haben längst eine popkulturelle Umdeutung erfahren. Und so wundert es nicht, dass Meckseper ein Ensemble an die Wand hängt, das den modischen Palästinenserschal mit einem Fetzen Blue Jeans und einem Bundeswehrabzeichen kombiniert.

Dass nationale Zugehörigkeit heute nicht mehr gleichbedeutend ist mit den bekannten territorialen Identifikationsmustern wie Sprache oder Kultur, sondern pop- und subkulturell erweitert wird, das bringt die Schau im Kunstverein zur Sprache, und das macht nation sehenswert. Anonym wirkt etwa Michael Elmgreen und Ingar Dragsets Rekonstruktion eines deutschen „Meldeamtes“ (2003). Man ist schon versucht, so viel stereotype Ordentlichkeit schnell hinter sich zu lassen, da stößt man auf einen unscheinbaren Stapel Zeitschriften. Der passt nicht ins Bild: Denn neben einer islamischen Zeitung und einer Fachzeitschrift für Genforschung liegt ein Kulturmagazin für Frauen und Lesben.

nation, Frankfurter Kunstverein, bis 3. August, Di.–So. 11–19 Uhr www.fkv.de