zwischen den rillen
: Classic ‘n‘ Cuts: Claude Debussy im Elektronik-Remix

Störgeräusche eines Fauns

Es ist ein alter Wunsch, klassische Meisterwerke zu aktualisieren und damit zu verjüngen. Vor allem im 20. Jahrhundert hat man wiederholt versucht, klassische Musik technisch aufzurüsten. Doch die meisten dieser Projekte endeten bislang in bodenloser Geschmacklosigkeit, indem man etwa – dem Muster „Classics on 45“ folgend – klassische Evergreens vor abgeschmackte Discobeats stellte. Auch als Pierre Henry die Sinfonien Beethovens vor einigen Jahren zu einem elektronischen Monster-Opus vermengte, kam er über ein Potpourri mit Technoeinschlag nicht hinaus.

Vor diesem Hintergrund ist es alles andere als selbstverständlich, dass sich ein ambitioniertes Techno-Projekt wie Porter Ricks mit einem Komponisten wie Claude Debussy beschäftigt. Der Berliner Musiker Christian von Borries hat eine Riege von für ihre Waghalsigkeit bekannten Künstlern auf einer CD versammelt, um zu erkunden, ob der Kanon der Gediegenheit nicht doch etwas hergibt, wenn man ihn mit der Tonsprache der Gegenwart konfrontiert.

Unter den geladenen Musikern finden sich altersweise Komponisten wie Pierre Henry und Ryuichi Sakamoto, elektroverliebte Tüftler wie Terre Thaemitz und der verwegene Psychoakustiker Alvin Lucier. Allen wurde dieselbe Aufgabe gestellt: Debussys Klassiker „Prélude à l’après-midi d’un faune“ modernistisch aufzubereiten.

Zunächst ist es natürlich schön, die Handschriften der Remixer aus den verschiedenen Versionen herauszulesen. Alvin Lucier löst die Orchesterspektren in glockigen Resonanzen auf, indem er Debussys „Prélude“ mit Mikrofonen aufnahm, die er in griechische Vasen gehängt hatte. Das Ergebnis ist das Heulkonzert der Vasen, die die dynamischen Höhepunkte des Stückes hörbar befriedigt vergrunzen. Terre Thaemlitz lockt das Knistern der 65 Jahre alten Aufnahmen in den Vordergrund, um ihnen die Kühle eines Clicks-’n’-Cuts-Tracks zu verleihen. Ryuichi Sakamoto steigert den impressionistischen Weichzeichner des Originals bis zum Kitsch. Und bei Pierre Henry gerät das Stück in den Sog eines rauschenden Wirbels, bis es wie gereinigt und unter pittoreskem Vogelgezwitscher wieder aufersteht.

Nur mit dem Humor haben die Beteiligten ein wenig gegeizt. Die Lust am Anfassen, jener obszöne Griff an die Substanz des Originals, die man vor allem in komponierten Interpretationen der Achtzigerjahre beobachten konnte, scheint diesen Musikern abhanden gekommen zu sein. Die Remixer hinterlassen bestenfalls persönliche Duftmarken: auratisches Knistern hier, durchgedroschene Naturnähe dort. Und über allem schweben das chromatische Flötenmotiv und die verwaschenen Akkorde, die das Stück berühmt gemacht haben. Nur Rashad Becker alias Panasonic SV-3800 gelingt es, Debussy mit Witz und Irrwitz, mit überzogenen Beschleunigungen und völlig lädierten Jazzphrasierungen auszuspielen.

Vielleicht hat man auch einfach ein schlechtes Stück ausgewählt. Denn Debussys „Prélude“ gehört ohnehin zu den abgenudelsten Nummern des Kulturbetriebs; und es entfaltet eine zwar originelle, aber keine besonders abwechslungsreiche Klangpalette. Da hilft es auch nicht, dass man in den Booklet-Texten alle Nase lang auf die Modernität des debussyschen Oeuvres verweist.

Diese Produktion leidet auch unter den Eitelkeiten des Kurators Christian von Borries, der meint, die beauftragten Musiker über Debussy belehren zu müssen, ihnen Elemente wie „steady beats“ verbietet und sich nicht zu schade ist, seine Maßregeln, die die Komponisten über Gebühr festlegen und deren Rhetorik einer Oberstufen-Hausaufgabe gleicht, zum „Dogma“ aufzublähen.

Dass die Elektroakustiker von heute den Meisterwerken von gestern etwas hinzuzufügen haben, das über das Auffrischen verblassender Farben hinausgeht, wusste man schon vor dieser Veröffentlichung. Pierre Henry und Alvin Lucier unternehmen hier nichts anderes als das, was sie seit Jahren ohnehin erfolgreich vorexerzieren. Soll aber klassische Musik auch künftig im elektrogeschwängerten Musikleben der Gegenwart eine Rolle spielen, so wird das weder als verordnetes Desiderat noch ohne den Willen der Künstler, die Werke wirklich zu durchdringen, geschehen.

BJÖRN GOTTSTEIN

Claude Debussy: Replay Debussy (Emarcy Classic)