Patente auf Leben spalten Koalition

SPD-Justizministerin Brigitte Zypries will Patentrichtlinie der Europäischen Union eins zu eins umsetzen. Misereor, Greenpeace und die Bundesärztekammer kritisieren den großzügigen Patentschutz. Grüne und Union wollen nachbessern

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Wieder einmal versucht sich eine Justizministerin über die Vorbehalte im Parlament hinwegzusetzten. Es geht um die Umsetzung der umstrittenen Biopatentrichtlinie in deutsches Recht. Wie schon ihre Vorgängerin Herta Däubler-Gmelin bringt auch Brigitte Zypries (SPD) nun einen Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung, die die EU-Richtlinie 98/44 eins zu eins umsetzt. Der Versuch, im Vorfeld mit den Grünen eine Einigung zu erzielen, ist erst mal gescheitert.

Das Vorgehen der Ministerin beunruhigt auch die Bundesärztekammer (BÄK). Zusammen mit Greenpeace und Misereor veröffentlichte sie gestern eine „Erklärung von Berlin“, in der sie die Bundesregierung auffordert, die EU-Richtlinie nicht umzusetzen – und nachzuverhandeln. „Die Richtlinie hat eine Umsetzung nicht verdient“, erläutert Otmar Kloiber, stellvertretender Geschäftsführer der BÄK.

Hauptkritikpunkt ist das so genannte Stoffpatent. Normalerweise kann man ein Patent nur auf eine Erfindung erhalten. Doch das Stoffpatent macht es möglich, ein Patent so weit zu fassen, dass mit der Dechriffrierung und Beschreibung eines Gens oder einer Gensequenz bereits sämtliche Anwendungen dieses Gens gesetzlich schützen kann. Auch wenn die Patentinhaber nichts davon wussten.

Das Europäische Patentamt hat sich die Regeln der EU-Richtlinie bereits 1999 zu Eigen gemacht – und weit über 1.300 Patente auf Gene von Mensch, Tier und Pflanzen, zuweilen auch auf ganze Organismen erteilt. Seit dieser Praxis, die in den USA noch ungehemmter praktiziert wird, verstricken sich immer mehr Forscher in einem Gestrüpp von Lizenzforderungen. Ein Forscher, der einen Vitamin-A-angereicherten Reis herstellen will, musste feststellen, dass in seinem gentechnisch konstruierten Reis neben dem Vitamin bereits 70 Patente enthalten sind. Viele Forscher sprechen von einem „Forschungsverhinderungsgesetz“. Schon heute, kritisiert Kloiber, würden etwa Blutprodukte sehr teuer, weil die Tests auf patentierte Bazillen hohe Gebühren nach sich zögen.

Solche „Mitnahmeeffekte“ wollen die Grünen vermeiden, sagt Fraktionsvize Reinhard Loske. Auch in der SPD gibt es großen Widerstand der Gentechnik-Experten in der Fraktion. Dies ärgerte Ministerin Zypries in den rot-grünen Gesprächen so sehr, dass sie lieber wohlgesinnte Wirtschaftspolitiker einlud.

Bereits vor zwei Jahren hatte das Kabinett auf Drängen der Grünen eine Nachverhandlung der Richtlinie in Brüssel beschlossen. Alles, was das Justizministerium seit dem fertig brachte, war ein vager Brief an die Kommission, in dem von den Problemen einiger deutscher Abgeordneter die Rede war. Inzwischen mahnt die EU die Umsetzung an. Allerdings haben erst sechs EU-Länder die Richtlinie umgesetzt. Vor allem aus Belgien, Luxemburg und Frankreich kommt Widerstand. Am liebsten wäre es daher den Grünen, gemeinsam mit Frankreich eine Revision der Richtlinie zu erzwingen. Den Segen der forschungsfreundlichen CDU/CSU hätten sie.