Wer tauscht die Musik

Weil Bertelsmann in die Tauschbörse Napster investiert hat, soll der Konzern nun Künstlern und Konkurrenten 17 Milliarden Dollar zahlen

Die Tonträgerindustrie hat allen Grund zur Klage, seit sich der Ton von seinem Träger gelöst hat: Tauschbörsen im Internet mit hinterlegten Musikdateien machen das Geschäft kaputt. Der digitale Zug war längst abgefahren, da wollte Bertelsmann noch aufspringen: Während andere Plattenfirmen die Tauschbörse Napster vor Gericht zerrten, steckte der Konzern rund 85 Millionen Dollar in diesen „revolutionären Vertriebsweg“. Bis Rechtsstreitigkeiten den Deal platzen ließen, konnte Napster seinen Betrieb fortsetzen.

Seit Februar ist nun vor einem US-Gericht eine Sammelklage von rund 160.000 Musikschaffenden wegen Urheberrechtsverletzungen gegen Bertelsmann anhängig. Angeführt werden die Bestohlenen von den Komponisten Jerry Leiber und Mike Stoller („Jailhouse Rock“, „Stand By Me“). Nachdem sich im März der Medienkonzern Vivendi Universal dieser Klage angeschlossen hat, will nun auch der britische Musikriese EMI Geld sehen – 150.000 Dollar für jeden illegalen Download.

Es geht um insgesamt 17 Milliarden Dollar, die Bertelsmann im Falle einer Verurteilung für sein Napster-Abenteuer berappen müsste. Und es geht, angeblich, ums Prinzip. „Copy kills music“, ächzte hierzulande die Musikindustrie im Verein, um das illegale Brennen von CDs zu unterbinden. Unter sinkenden Gewinnen leidet die Qualität, mit leeren Kassen lassen sich keine Talente mehr förden – so das Diktum der Industrie.

Was natürlich flugs widerlegt ist, wenn man nur die Geschäftspraktiken einer so aufgeblasenen Behörde wie der EMI einmal unter die Lupe nimmt. Für 100 Millionen Dollar hatten die Briten Mariah Carey eingekauft – als ihr Album floppte, bezahlten sie ihr 30 Millionen Dollar, um sie wieder loszuwerden. Und wenn Robbie Williams sagt, er sei „rich beyond my wildest dreams“, so ist das kaum übertrieben: Für 125 Millionen Dollar hat sich der Frauenschwarm an die EMI verkauft. „Er gehört uns zwar mit Haut und Haaren“, stöhnt eine Mitarbeiterin, „aber er wird das Geld nie im Leben einspielen, wenn er es nicht bei den Amerikanern schafft.“ Die aber konnten nicht einmal mit dem auf den US-Markt zielenden Album „Escapology“ etwas anfangen. Robbie who?

Es geht den Konzernen nicht darum, wem die Musik gehört. Es geht ihnen darum, wer an den heillos überteuerten Produkten verdient. Umso wichtiger ist es für die Industrie, wenigstens den genuin anarchischen Vertriebswegen im Internet den Garaus zu machen – und mit Bertelmann den Verräter in den eigenen Reihen abzustrafen.

Und die Qualität? Wer bei der „Peer-to-Peer“-Tauschbörse KaZaa nach der neuen Metallica-Single „St. Anger“ fahndete, erntete mindestens 40 Treffer – und Frust: Die meisten angeblichen „St. Anger“-Dateien waren altbekannte Riffs in geloopter Endlosschleife. Musikalischer Müll, in Umlauf gebracht von der Plattenfirma. ARNO FRANK