Aufregung um die „Stadt der Bewegung“

Die Ausstellung „Nationalsozialismus in München – Chiffren der Erinnerung“ kann endlich besichtigt werden – nach einer seltsamen Vorgeschichte

Den Vorwurf der Zensur kann man fallen lassen. Die Ausstellung „Nationalsozialismus in München – Chiffren der Erinnerung“ im Münchener Stadtmuseum ist genau die Ausstellung, die Oberbürgermeister Christian Ude nach einer Vorbesichtigung im August vergangenen Jahres schließen ließ, bevor sie eröffnet wurde.

Als „folkloristische SA-Lederhosenschau“ und „Devotionalien-Ansammlung“ hatte der aufgeklärte Politiker die von Brigitte Schütz kuratierte Präsentation des dunkelsten Kapitels Münchner Stadtgeschichte diffamiert – und damit die Ausstellungsmacherin selbst in ein merkwürdiges Licht gerückt. Die Kulturreferentin Lydia Hartl nannte die Kuratorin gar „beratungsresistent“ und setzte sich für Neubesetzung und Neukonzeption ein. Und als sei es normal, dass Politiker Museen in konzeptionellen Dingen „berieten“, zeigte sich auch Museumsdirektor Wolfgang Till merkwürdig offen für die rüde Kritik und gelobte Besserung.

Ein Jahr musste vergehen, nicht um wesentliche Dinge zu ändern, sondern um „Auffassungsunterschiede“ über das dämonische Potenzial der Objekte zu beseitigen. Und letztlich brauchte es ein Jahr, bis jeder der Beteiligten mit tapferer Miene vor Publikum sagen konnte: Wir haben uns politisch korrekt und verantwortlich um die richtige Darstellung der heiklen Stadtgeschichte gekümmert. Die Kulturreferentin behauptet, jetzt würden die Dinge im rechten Licht gezeigt. Doch Fakt ist, die Ausstellung ist so, wie sie konzipiert war. Der einzige Unterschied zu August: Sie ist fertig. Und jeder kann sich ein Bild machen.

Alle beanstandeten Objekte – bis auf den Röhm-Dolch – befinden sich an der für sie vorgesehenen Stelle des Ausstellungsplans: Da ist die SA-Uniform – 1925 in der Modestadt München entworfen und von der „Reichszeugmeisterei“ ab 1937 lizenziert und vertrieben. Die Seppelhose war dabei nicht nur folkloristische Anbiederung, sondern auch Kostüm, um das zeitweilige Uniformverbot des Freistaates zu umgehen. Auch die Standarte – von Goldschmied Otto Gahr 1923 entwickelt – war ein Exportartikel bester Münchner Kunstgewerbetradition. Die nötige Aufklärungsarbeit dazu leistet die Ausgabe der Münchner Post aus dem Jahr 1931, die sämtliche rechte Gewalttaten der Jahre 1920–27 listet. Durch die Uniformvitrine hindurch wird der Blick auf Fotos von SA-Aktivitäten beim antijüdischen Boykott 1933 gelenkt.

Auch der Zeitungskarren des Völkischen Beobachters leuchtet rot aus der Vitrine. Kombiniert mit dem Bild der Bücherverbrennung, ergibt sich ein scharfes Porträt der Verlagsstadt München. Selbst die „niedlichen“ – von Ude wie Hartl gerügten – Porzellanfiguren sind wie geplant, mit Holzwolle drapiert, in einer Vitrine zu begutachten. Nippes zweifelsohne, von Kunstprofessoren der Akademie gestaltet und von Münchner Manufakturen für bürgerliche Haushalte vervielfältigt – unter Ausbeutung von KZ-Häftlingen. In allen Einzelheiten und bisweilen winzigen Details zeigt die Ausstellung die durchaus profitablen Arrangements der Industrie, des Handwerks, der Händler, der Künstler, Ärzte und Wissenschaftler mit dem Regime.

Schonungslos werden Namen und Adressen genannt – und erstmals auch in einem Stadtplan veröffentlicht. Kein Zweifel, München war der Entwicklungsstandort des Nationalsozialismus und der größte Exporteur aller seiner „Markenzeichen“, inklusive Rassenhygiene und Völkermord. Das alles ist sicher kein Anziehungspunkt für bekennende Rechte – und das nicht nur weil kein Röhm-Dolch als Beweis fataler „Kameradschaft“ ausgestellt wird. Die einzige Konzession an die vorlauten Kritiker.

IRA MAZZONI