Die Welt ist eine Flasche

Kunstquartier Venedig (1): Auf der heute beginnenden Biennale hat sich die Zahl der teilnehmenden Länder binnen sechs Jahren verdoppelt. Migration als Leitbild ist passé, die Nationenpavillons spielen eine so große Rolle wie lange nicht mehr

Nur ein Gerücht, dass Palästina einen eigenen Pavillon kriegen sollte

von HARALD FRICKE

Kein Tel Aviv und auch kein Jerusalem. Auf dem Bildschirm über dem Sitz taucht rechts am Rand der Landkarte Bagdad auf, daneben Teheran, links weiter unten Kairo. Dabei fliegt hlx.com nur Ziele im europäischen Westen an. Aber ein bisschen Symbolik muss trotzdem sein: Die arabische Welt ist angekommen auf den internationalen Routen.

Das gilt auch für die Kunst. Auf der Biennale in Venedig wird dieses Jahr erstmals der Iran offiziell vertreten sein. Das passt gut ins Bild einer globalen Bewegung, hin zu mehr Kulturaustausch.

Weitere Neueinsteiger sind Indonesien und Türkei, nachdem 2001 Neuseeland sich einen eigenen Pavillon eingerichtet hatte. Nun will selbst die Volksrepublik China zeigen, dass sie mit dem Konkurrenten Taiwan mithalten kann, der einen gleich neben dem Markusplatz gelegenen Showroom hat.

Vielzählig und verwinkelt ist der Nationenparcours der Kunstausstellung geworden, ohne dass eine neue Konzeption der Biennale diesen Run ausgelöst hätte. Im Gegenteil. Länderpavillons spielten in den vergangenen Jahren keine allzu große Rolle. Nation war kein Label, das für die Kunstproduktion getaugt hätte. Stattdessen stieg das Augenmerk für Nebenschauplätze, wurden afrikanische Künstler in einem Palazzo außerhalb der Giardini zusammengefasst oder thematische Schwerpunkte zur Kunst der so genannten Peripherie von hochkarätigen Kuratoren organisiert. Plötzlich war überall Zentrum, auch in der entlegensten Inselecke Venedigs.

Heute werden die Territorien wieder stärker gepflegt, achtet man auf die Etikette der Repräsentation. Was mit den neu entstandenen Ländern nach dem Zerfall der Sowjetunion begann und sich in den jeweils eigenen Interessenvertretungen des Balkan fortsetzte, führt nun zu einer Topografie im Weltmaßstab: Auf der Biennale hat sich die Zahl der teilnehmenden Länder binnen sechs Jahren praktisch verdoppelt. Migration als Leitbild ist passé, Identität und Eigensinn bestimmen die kulturelle Dynamik – auch das gehört offenbar zum Clash der Zuschreibungen nach dem 11. September.

Vielleicht kursierte deshalb wenige Wochen vor der Eröffnung das Gerücht im Internet, die Biennale-Leitung hätte beschlossen, einen palästinensischen Pavillon zu errichten. Schließlich wollen auch in der Kunst die politischen Zeichen weithin sichtbar gesetzt werden: Nicht unbedingt als Plattform im Friedensprozess – das hier ist Venedig und nicht Akaba –, sondern als problembewusstes Statement für den Kulturbetrieb. Der diesjährige Biennale-Chef Francesco Bonami hat dafür im Interview mit der NZZ ein griffiges Bild benutzt: „Kunst ist ein politischer Akt, aber auch ein Akt der Transformation von äußerer Realität. An der letzten documenta wurde möglicherweise versucht, den Inhalt einer Flasche in ein Glas zu gießen. Das Glas ist die Welt der Kunst – also ein beschränkter Behälter –, und die Welt ist die Flasche.“

Wie welthaltig die Biennale tatsächlich ist und wie viel daran doch bloß wieder kultureller Marktplatz ist, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Schon jetzt besagt Bonamis lukullische Metaphernsprache wenig über die Beschaffenheit des Glases, erst recht nichts über seinen Inhalt. Nur eins ist sicher: Mit dem Biennale-Motto „Die Diktatur des Betrachters“ setzt Bonami ausdrücklich auf mehr Verständlichkeit fürs Publikum. Das heißt auch: Weniger Videos in Spielfilmlänge, drei bis fünf Minuten an Aufmerksamkeit müssen reichen.

Damit ist Malerei im Vorteil – und sie liegt ohnehin im Trend. So werden sich über das Spektakel vor allem auch Sammler und Galeristen freuen, für die Venedig ein vorgelagerter Treffpunkt zur Kunstmesse in Basel ist, die in der Woche nach der Biennale beginnt.

Dann wundert man sich am Ende natürlich nicht, dass es aus dem palästinensischen Pavillon nichts wurde. Aus organisatorischen Gründen, ganz gewiss.