Der moralisch Unantastbare

Die Rolle, die sein Schaffen auf den Punkt brachte, war die des politisch korrekten Anwalts Atticus Finch in „Wer die Nachtigall stört“, doch am ehesten in Erinnerung bleiben wird er uns wohl als Käpt’n Ahab in „Moby Dick“: Zum Tod von Gregory Peck, dem schönsten aller Hollywood-Schauspieler

von THOMAS WINKLER

Womöglich wäre die Weltgeschichte anders verlaufen, hätte sich Gregory Peck dereinst entschlossen, das Angebot der konservativen Partei anzunehmen, für den Gouverneursposten von Kalifornien zu kandidieren. Aber Peck schlug aus, und die Konservativen fanden als Ersatz einen zweitklassigen Westerndarsteller namens Ronald Reagan. Wohin das führte, ist bekannt.

Womöglich gäbe es sogar die DDR noch. Denn könnte man sich vorstellen, wie der stets feinsinnig wirkende Peck vor dem Brandenburger Tor mit donnernder Stimme verkündet: „Tear down this wall, Mr. Gorbachov!“? Nein, eher nicht. Solch platte Inszenierung war ihm fremd. Peck stellte in seinen Filmen nicht nur den noblen Ehrenmann dar: Er schien es zu sein. Immer wieder versuchte er sich als Bösewicht, 1946 als mieses Ranchersöhnchen in King Vidors „Duell in der Sonne“ oder 1978 als KZ-Arzt Josef Mengele in „The Boys from Brazil“, aber selbst seine Unmenschen trugen stets eine unpassende Noblesse zur Schau.

Trotz aller Ausbruchsversuche blieb die Rolle, die Pecks schauspielerisches Schaffen auf den Punkt brachte, stets die des Anwalts Atticus Finch in „Wer die Nachtigall stört“ (1962), der inmitten der rassistisch aufgeheizten Stimmung des Südens einen unschuldigen Afroamerikaner verteidigt gegen den Vorwurf, eine weiße Frau vergewaltigt zu haben. Dafür gewann er einen Oscar, dafür liebten ihn die Frauen, dafür bekam er auf Lebzeiten das Image des Ehrenmanns verpasst. Es war eine Zeit, in der die Guten noch Weiß trugen und am Ende das Mädel abbekamen.

Es war eine gerechte Zeit; eine Zeit, in der amerikanische Helden wie Atticus Finch, allein ihrem Gerechtigkeitssinn verpflichtet, sich gegen alle Widerstände durchsetzten; eine Zeit für ungebrochene amerikanische Helden, die Peck darstellte wie kein anderer, weil ihm der Zynismus eines Bogart oder die Ironie eines Clark Gable abgingen: „Hinter dem Make-up und der Rolle bist du“, sagte Peck einmal, „und daran, an dir, ist das Publikum vor allem interessiert.“ So spielte Peck in seinem Debüt einen russischen Partisanen im heroischen Kampf gegen die Nazis („Days of Glory“, 1944), draufgängerische Weltensegler („Des Königs Admiral“, 1950), Chefärzte („Ich kämpfe um dich“, 1945) und Enthüllungsjournalisten („Gentleman’s Agreement“, 1947), romantische Liebhaber („Ein Herz und eine Krone“, 1953), den Fünf-Sterne-General Douglas MacArthur („Held des Pazifiks“, 1976) und schließlich doch noch den US-Präsidenten („Schweigende Stimmen“, 1987).

Die moralische Unantastbarkeit solcher Rollen verlängerte Peck scheinbar problemlos in sein Privatleben. Von seiner ersten Frau Greta trennte er sich in aller Freundschaft, seine zweite Ehe mit der französischen Journalistin Veronique Passani währte 48 Jahre und blieb von jeder öffentlichen Erschütterung verschont. Einziger dunkler Fleck bleibt der Selbstmord seines Sohns Jonathan. Pecks liberale Ansichten brachten ihn auf Richard Nixons schwarze Liste gefährlicher Staatsfeinde. So erwarb er sich im Laufe der Jahrzehnte den Status eines Säulenheiligen, der kaum gestützt war von den oft arg durchschnittlichen Filmen, in denen er mitgewirkt hatte.

Genau mit diesem Image spielte Martin Scorsese in seinem Remake von „Cape Fear“. Im Original von 1962 gab Peck den von dem Exhäftling Robert Mitchum tyrannisierten Familienvater und Anwalt. Mit den gealterten Mitchum und Peck besetzte Scorsese 1991 Nebenrollen diametral: Mitchum als gutmütiger Polizist und Peck als niederträchtiger Anwalt. Es war vielleicht Pecks einziger wirklich stimmiger Auftritt als Bösewicht.

Trotzdem wird uns Peck wohl eher als Käpt’n Ahab in Erinnerung bleiben, wenn auch nur deshalb, weil „Moby Dick“ jener unter seinen mehr als 50 Filmen ist, der am ausdauerndsten durch die dritten Programme tourt. Peck hatte die Rolle 1956 nur angenommen, um Regisseur John Huston für sein Comeback einen Gefallen zu tun, und dachte ursprünglich, er sollte die positive Identifikationsfigur Starbuck spielen. Stattdessen gab er noch mit Holzbein und Theaterbart dem Ahab eine unerwartete menschliche Dimension. Plötzlich schien der vom Hass getriebene Walfänger gar auf einer edlen Mission. Peck selbst erkannte seine Defizite: „Ich war nicht böse genug, ich war nicht verrückt genug.“

Eldred Gregory Peck wurde am 5. 4. 1916 in La Jolla, Kalifornien geboren. Er starb am Donnerstag mit 87 Jahren friedlich im Schlaf. Seine Frau Veronique hielt seine Hand. Es steht zu vermuten, dass eine unheimliche Noblesse über der Szenerie lag.