Die Rettung der Ängste

Kunstquartier Venedig (3): Christoph Schlingensief hat genug vom Terrormonopol der Politik, und Candida Höfer verbannt das Leben aus ihren Fotos im deutschen Pavillon

Der diesjährige Biennale-Chef Francesco Bonami mag an der Kunst die Nähe zum Volk. Deshalb wollte er unter dem Motto „Die Diktatur des Betrachters“ eine Ausstellung, die sich wieder stärker auf die Interessen vor Ort bezieht. Die Previews für die Presse wurden auf zwei Tage gestrafft, bis Samstag muss man 63 Länderpavillons, ein Dutzend Themenschwerpunkte und kaum überschaubare Sonderveranstaltungen bewältigt haben. Danach soll die Biennale ein Treffpunkt vor allem für die Bewohner Venedigs sein, denn, so Bonami, „Touristen hat die Stadt ohnehin schon genug“.

Doch der Venezianer hat andere Sorgen. Die schmodderigen Kanäle müssen entschlackt werden, jedes zweite Haus braucht eine neu herausgeputzte Fassade. Überall ist Baustelle: Auf Bretterwegen schwankt man durch schmale Gassen, schluckt Betonstaub und denkt an Berlin und seine vielen Baustellen.

Vielleicht liegt es aber gar nicht an dem totalen Sanierungszirkus, sondern an Christoph Schlingensief, der mit einer totalen Performance den Eingang der Giardini in Beschlag genommen hat. Eine Woche regiert dort die „Church Of Fear“. Denn Schlingensief hat genug vom Terrormonopol der Politik, von der Post-9/11-Hysterie, die „Parlament und Presse, Markt und Manege“ seiner Meinung nach gleichgeschaltet hat. Nun will die von ihm gegründete Kirche das Gefühl der Angst retten: „Wer eine terroristische Tat plant, soll sich melden und erklären, wann, wo, warum?“, steht auf einem Plakat, das an sieben Pfähle gepinnt wurde, auf denen sieben Kandidaten für – genau – sieben Tage im Sitzen ausharren müssen. Schließlich ist bei Schlingensief Kunst eine Frage von Schmerz und physischer Verausgabung: Es geht zwar um Action, aber nach ordentlich Weihrauch riecht es auch.

Da trifft es sich gut, dass gleich neben seiner Kirche der mexikanische Konzeptkünstler Santiago Sierra als Gast im spanischen Pavillon untergebracht ist. Auch Sierra will, dass es wehtut, schlimmstenfalls muss Blut fließen für seine Kunst, die die herrschenden Verhältnisse kritisiert. Mal ließ er dafür Junkies gegen einen Hungerlohn tätowieren, mal Asylanten über Tage in Pappkartons pferchen, weil nur so sichtbar wird, wozu der Mensch unter der Regime des Kapitalismus bereit ist. Man könnte meinen, mit Schlingensief und Sierra haben sich zwei gute Katholiken gefunden, die beide gerne Führer durch das Jammertal des entfremdeten Lebens wären.

Doch bei Sierra verschwimmt die Grenze zwischen symbolischer und realer Gewalt zunehmend: Sein Beitrag in Venedig besteht aus einer Wand, mit der er den Pavillon komplett vermauert hat. Den Nebeneingang dürfen nur Besitzer eines spanischen Passes betreten. Als ein Kollege aus Frankfurt sich nicht an diese Regelung halten wollte, wurde er von Bodyguards rausgeworfen. Die spanische Kuratorin Rosa Martínez sah in dieser Aktion eine konsequente Umsetzung der Fiktion von Sierra. Sollte der Kollege allerdings schreiben, dass sie mit solchen Repressalien den Rassismus unterstützen würde, drohte Martínez ihm mit ihrem Anwalt.

Bei solchen Konflikten fällt es ungemein schwer, sich im deutschen Pavillon auf den verfeinerten Humor Martin Kippenbergers einzulassen. Dabei ist sein U-Bahn-Schacht für Venedig eine prima Ergänzung zum sonstigen Baukuddelmuddel. Acht Meter Eisenrost sind im Boden des Hauptraums verankert. Alle paar Minuten hört man das Geräusch einfahrender Züge, dazu weht ein Wind von unten den Frauen die Röcke hoch wie bei Marilyn Monroe in Billy Wilders „Das verflixte siebte Jahr“.

Offenbar hatte der 1997 verstorbene Kippenberger eine sentimentale Ader in Sachen Großstadtleben, auch wenn der für den Pavillon verantwortliche Kurator Julian Heynen lieber an einen Abgrund denkt, der das unterirdische System „in die Nähe eines Grabes rückt“. Oder sucht Heynen nur nach einer Verbindung zu den Fotos von Candida Höfer, die gleichfalls im deutschen Pavillon präsentiert werden?

Sachlich um strenge Form der Interieurs bemüht, nimmt Höfer menschenleere Innenräume auf. So nüchtern, so erhaben sieht ein Museum ohne Publikum aus, die verlassene Kantine der Hamburger Spiegel-Redaktion oder ein verknöcherter alter Palazzo, in dem vor endlosen Zeiten vielleicht die Boheme von Venedig tanzte. Diesseits heißt Stillstand, Gegenwart ist nur eine archäologische Schicht mehr: Diese Sichtweise mag in den Siebzigerjahren und Achtzigerjahren zum Abgesang auf eine fortschrittsgläubige Moderne gepasst haben, wie sie etwa auf Fotos von Bernd und Hilla Becher katalogisiert wurde, bei denen Höfer studiert hat.

Heute sieht man allerdings auch Candida Höfers Arbeiten durch die archäologische Brille, als Verhärtung eines Gesellschaftssystems, in dem Leben nicht mehr vorkommt. Das stimmt ein wenig traurig, wo doch draußen der Streit über Santiago Sierras Menschenverachtung im Hier und Jetzt langsam heißläuft. HARALD FRICKE