Skandalwurst mit Pinkel

Gemein: Jürgen Möllemann darf Michel Friedmans Proletenabsturz nicht mehr erleben

Wer unter Vollgekokste fällt, kann sich vor ganz dollen Hechten nicht mehr retten

Jürgen Möllemann würde sich tot ärgern, wenn er es nicht schon wäre. Sein Feind Michel Friedman stürzt ab, und er kann das nicht mehr miterleben. Eine gute Woche zu früh hat sich Möllemann von der Reißleine gelassen – ist das nur schlechtes Timing oder doch die „Tragödie“, zu der ein Spiegel-Nachruf den Tod des Politikers aufbauschen wollte? Fest steht: Möllemanns Abgang war reichlich überstürzt.

Voller Genugtuung hätte der Mann sich die Pranken reiben können. Bild, das perverseste Blatt Deutschlands, titelt am 14. Juni: „Kokain! Wie krank ist Michel Friedman?“ So krank wie Bild-Chefredakteur Kai Diekmann? Mit dem teilt Friedman immerhin den Frisurgeschmack: Hauptsache feucht und fettig, das finden sie dann schön. Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner könnte endlich die Gelegenheit ergreifen, das Heucheln fahren zu lassen. Der geeignete Titel für eine Friedman beiseite springende Post von Wagner wäre „Briefchen an Friedman“.

Gerede über Hotelsuitenexzesse Friedmans mit Kokain und Prostituierten gibt es schon seit dem vergangenen Sommer. Sensationell oder überraschend ist das nicht gerade, denn Friedman stellt seinen Aufsteigerabgeschmack permanent öffentlich zur Schau. Im Fernsehen zeigt er sich als geriebener, aufdringlicher Gastgeber, der seinen Gästen wurstpelleneng zu Leibe rückt und seine Distanzlosigkeit als menschliche Nähe ausgibt. Der outrierte Lackel ist eine perfekte Gala- und Bunte-Existenz, der auch die richtige Lebensgefährtin hinzugecastet wurde: Bärbel Schäfer, die aus Gründen der eigenen Profession für wirklich jede TV-Peinlichkeit Verständnis aufbringen müsste – die aber jetzt, laut Bild, „Trost bei ihrer Mutter“ sucht. Friedman steht auf Nutti, Schäfer heult bei Mutti: das deutsche Drama, eine Schmierseifenoper.

Mit angeblicher großer Welt prahlt Friedman, renommiert aufstreberhaft herum und zeigt vollproletig die Insignien seines Nachvornekommens vor. Analog banal ist auch die Substanz, die Friedman sich wie Millionen andere einpfeift: Nasenata. Das Zeug macht flatterzüngig, laberig und genauso anstrengend und plakativ, wie Friedman sich im Fernsehkasten präsentiert. Eingesogen als Marschierverpflegung, als Energielieferant und Außenbordmotor, bläht es den Kokskopf auf; unangenehme Demonstrationen von Größenwahn sind quasi unvermeidlich. Wer unter Vollgekokste fällt, kann sich vor ganz dollen Hechten nicht mehr retten. Kokain ist das Zeug, das Angeber- und Schreifiguren weiterschiebt. Dabei ist doch eigentlich logisch, dass ein enthemmtes Würstchen naturgemäß unangenehmer ist als ein nicht enthemmtes.

Für die Birne, soweit vorhanden, ist Nasenata gar nicht gut. Michel Friedman fand es offenbar lustig, seine telefonischen Bestellungen unter dem Pseudonym Paolo Pinkel aufzugeben – Paolo Pinkel, harr harr. Dem Proletigen ist das Toilettige zugehörig – und Koks wird ja bevorzugt von Klosettdeckeln in die Nasenlöcher gezogen. Das genuin Stilfreie gibt sich gern verrucht, riecht aber bloß nach Lokus.

Nicht interessant, aber immerhin fair wäre es, wenn all die Jungschriftsteller, Schauspieler, Musiker, Medienmutanten, Gastronomen und Kulturbetriebsnasen bekennen wollten, was sie sich bisweilen antun: sich das Koks reinschaufeln wie die Besengten und das dann genauso toll finden wie sich selbst. Man hätte erstens eine plausible Erklärung dafür, warum sie einem alle penetrant auf den Wecker fallen, und zweitens stände Michel Friedman nicht allein und nackt unter Heuchlern. Mit dem Pulver, das in Deutschland an einem Wochenende durchgezogen wird, könnte man sämtliche Fußballplätze eines Bundesligaspieltages abkreiden – zweite Liga inklusive. Koks ist so doof, das müsste es eigentlich bei Aldi geben.

Wo auch die Kokser des Kultur- und Medienbetriebs zügig vor Anker gehen sollten, um von nun an auch ganz offiziell zu fabrizieren, was sie bislang unter falscher Flagge firmieren ließen: Aldi-TV. Den Anfang macht ein artist formerly known as Michel Friedman unter seinem wahren Namen Paolo Pinkel – ein Strizzi und Schmieri, der geeignet ist, alle antisizilianischen Ressentiments der Welt zu mobilisieren. Sein erster Gast möge der exhumierte Jürgen W. Möllemann sein zum Beweise dessen, dass Friedman stets derselbe gerechte Lohn für Möllemann war, den Möllemann ihm umgekehrt auszahlte. WIGLAF DROSTE