Graues Band der Sympathie

Manchmal kriegst du doch, was du willst! Beim Rolling-Stones-Konzert in Berlin wurden teure Tickets mit Pyrotechnik und auch nach fünfhundert Jahren noch dreckig rockenden Jungs fair abgeglichen

Mit ein bisschen Glück sind sie auf einmal ganz nah dran, 70 Meter vielleicht

von SUSANNE MESSMER

Im Vorfeld musste man sich mehrfach dafür beschimpfen lassen, für ein Ticket für das Rolling-Stones-Konzert 74,30 Euro ausgegeben zu haben. Für 74,30 Euro könne man sich ja schon ein schönes Wochenende machen, eine kleine Party geben, fünf teure CDs kaufen, lauter schöne Sachen machen. Aber für diese Halbleichen? 74,30 Euro? Ungläubiges Entsetzen in den Augen der Kollegen, Bekannten und Verwandten und plötzlich der usprünglichen Überzeugung zum Trotz, einfach ein einziges Mal dabei sein zu wollen: dieses sanfte, unangenehme Gefühl der Verunsicherung.

Aber dann ist es gar nicht schlimm. Die Fans, vor denen man eindringlich gewarnt worden war (Männer mit Spitzbäuchen, die ihr Alter nur mithilfe der besuchten Konzerte errechnen können), sind nett. So nett, dass man das behütete Gefühl hat, unter Eltern zu sein. Lauter freundliche Sechzigjährige. Und ein paar sind sogar richtig flippig! Einer, der Flippigste, mit verspiegelter Pilotensonnenbrille, Flickenhose und aufgeknöpftem Hemd bis zum Bauchnabel ist total drauf, hat seine Mundharmonika dabei, spielt mit viel Einsatz alle Lieder mit und zieht die Aufmerksamkeit derart auf sich, dass es Momente lang ganz aus dem Blick gerät, was die da vorne so machen.

Und was machen die da vorne eigentlich? Zugegeben: Manchmal sieht es schon ein bisschen unwürdig aus, so, als würde Mick Jagger gleich die Puste ausgehen und umfallen, Keith Richards bald die Gitarre, Charlie Watts der Schlegel aus der Hand fallen. Der Sound ist wahnsinnig matschig – egal ob es am Olympiastadion oder an der allgemeinen Vergreisung liegt. Doch jenseits dessen, man kann es nicht anders sagen: Auch nach fünfhundert Jahren Bandkarriere haben die Stones schlichtweg gute Laune. Machen dreckige Witze, tanzen einander an, rauchen beim Spielen und wirken überhaupt so, wie losgelassene Jungs eben immer wirken, egal wie alt sie sind. Wenn die Langeweile des immergleichen Sounds droht, spielen sie einen der Hits, die man im Radio nicht mehr hören mag, für die man sie aber hier dann doch wieder lieb haben muss. „Honky Tonk Woman“ oder „Brown Sugar“ zum Beispiel und vor allem „Sympathy for the Devil“. Und als Mick Jagger abgedroschene Sachen sagt wie „Ihr seid ein geiles Publikum“ oder „Heute Abend werden wir richtig Spaß haben“ – es ist ein Rätsel: Man glaubt es ihm sogar.

Apropos „Sympathy for the Devil“: Was sie von diesem Lied an für Pyrotechnik, fetten Konfettiregen, Lichtshow etc. springen lassen, das haut zwar keine 74,30 Euro raus, vermittelt aber immerhin das gute Gefühl, dass man hier nicht der Einzige ist, der Geld aus dem Fenster wirft. Und dann, im letzten Drittel, lassen sie sich sogar noch was ganz Besonderes einfallen. Auf einer Art Laufsteg wechseln sie in die Mitte des Innenraums vom Olympiastadion, eine kleine Extrabühne wird ausgefahren, und mit ein bisschen Glück sind sie auf einmal ganz nah dran, 70 Meter vielleicht. Man kann die Falten um Mick Jaggers ausladende Mundpartie zählen, die ultracoolen Haarperlen und fetten Ringe von Keith Richards. Sie sind gar nicht so undrahtig für ihr Alter, muss man anerkennend zugestehen – versonnen die Hüfte von Ron Wood betrachtend.

All das ist letztendlich derart befriedigend, dass man am Schluss beinahe ein T-Shirt gekauft hätte, ein rosafarbenes mit einer fetten Zunge vielleicht – nur um die Kollegen, Bekannten und Verwandten zu schockieren. Aber unter 30 Euro ist da nichts drin, also verlässt man das Stadion ohne Neuerwerbung, zusammen mit 50.000 anderen Fans, die erfolglos versuchen, sich alle auf einmal in eine U-Bahn zu quetschen.