Könige der Sandburg

Aus 2.200 Tonnen Sand formen Profi-Burgenbauer an der East Side Gallery Skulpturen. Der Berliner Sand? „Klebt nicht so gut“, sagt der Weltmeister

von SIMONE ROSSKAMP

Sanft fährt Pavel mit der Hand über die Rundungen, streicht zärtlich über die überdimensionierte Glatze seines Gegenübers. Mikroskopisch feiner Sandregen rieselt ihm entgegen: Haut-Peeling der besonderen Art. Pavel ist der Weltmeister seines Gewerbes. Doch der, den er gerade so liebevoll bearbeitet, weiß das nicht zu schätzen. Er bleibt völlig regungslos. Mit starrem Blick glotzt er geradeaus, gelassen wie Buddha frisch nach der Erleuchtung. Kein Wunder: Er besteht ganz und gar aus Sand.

Der Russe Pavel Zadanouk hat die Sandskulpturen-Weltmeisterschaften in China dreimal gewonnen. Jetzt ist er in Berlin. Hier, bei dem ersten internationalen Wettbewerb in Deutschland, geht es ihm nicht um Titel – im Sand buddeln bedeutet für ihn, „negative Energien“ loszuwerden. Seine Skulptur, die im Moment noch seelig grinst wie der Erleuchtete selbst, soll schon bald wie ein grausamer Schlachter aussehen und mit toten Nebenfiguren und Blutlachen arrangiert werden. Ähnlich negativ Pavels Kommentar zur Qualität des deutschen Sandes: „Klebt nicht so gut zusammen“, sagt der verwöhnte Baumeister. Der König jeden Sandkastens, der schließlich fast alle Sorten kennt, rückt die Sonnenbrille zurecht.

Dabei hatten die Wettbewerbsveranstalter doch wirklich alles aufgefahren: 80 Lkw-Ladungen nämlich, ganze 2.200 Tonnen des goldgelben Materials haben sie an die Spree gekarrt. Scharfkantig müssen die Körnchen sein, ein hoher Lehmanteil ist wichtig. 20 Sandproben hatten die Veranstalter vorher in der Umgebung Berlins genommen, hatten sie penibel auf Körnerform und Quarz-Gehalt untersucht. Erst eine Sandgrube im brandenburgischen Niederlehme hatte die Fachleute überzeugt. An der East Side Gallery entsteht nicht nur eine 500-Tonnen-Sand-Skulptur namens „Faces of Berlin“; auch treten 17 Sandbildhauer aus zehn Nationen mit je vier Meter hohen Werken gegeneinander an – die Crème ihrer Bröselbranche.

Auch Sudarsan Pattnaik ist einer von ihnen, der indische Superstar unter den Sandbauern. In seiner Heimatstadt Puri an der indischen Ostküste betreibt er sogar eine Schule für den Nachwuchs, das „Golden Sand Art Insitute“. 50 Studenten lernen hier: „Mit Sand zu bauen, das ist bei uns wie ein Sportereignis“, erklärt er die Popularität.

Wie also muss sie aufgebaut sein, die perfekte Sandskulptur? „Wichtig ist eine Skizze“, erläutert der Lehrer, während er mit seinen überlangen Fingernägeln auf ein Papier deutet. „Die Idee muss im Ganzen stehen, bevor du anfängst.“ Denn: Eine Sandstatue fängt nicht unten an, wie der Laie es sich gemeinhin vorstellt. Der obere Bereich wird zuerst geformt. Der Grund ist einfach: Wäre es umgekehrt, würde man immer wieder auf den gerade bearbeiteten Teil treten müssen. „Doch vorher muss der Sand ausgiebig gewässert werden, damit er besser klebt“, so Pattnaik. Bei noch ungeformtem Sand reicht der grobe Strahl des Schlauchs. Hat er schon eine Form, verwendet man eine spezielle Spritze mit feinen Düsen. Schon Tage vorher werden die Körner in eine Form gepresst, die unter Spannung noch einmal die Konsistenz verdichtet. Die Holzverkleidungen werden nach und nach abgenommen. Für die Details nutzt jeder verschiedene Werkzeuge: Manche werkeln mit Zahnbürsten oder Eisstielen, Pattnaik kratzt einfach mit seinen Fingernägeln, die er extra dafür wachsen lässt: „So kann ich feine Strukturen ganz genau arbeiten.“

Die sind bei seinem Berliner Projekt besonders angesagt, denn hier formt er die hinduistische Gottheit Ganeesh auf Berlin-Besuch. Sie soll das Glück über die Stadt bringen. Ganeesh hat einen Elefantenkopf und eine wuchernde Haarpracht, die sich in viele einzelne Löckchen aufspaltet – eine Geduldsprobe selbst für Sandspezialisten. Immer wieder sprüht der Inder feinen Spreewasser-Nebel nach, um den Sand formbar zu halten. Mit groben Spachteln schiebt er die größeren Massen beiseite, Nägel und kleine Stöcke verwendet er für Falten und Nasenlöcher. Ist das Werk fertig – bis zum 22. Juni müssen die Künstler so weit sein –, wird es noch einmal mit einer speziellen Mischung aus Leim und Wasser besprüht, die Standfestigkeit bringt. Bis zum 20. Juli sollen die vergänglichen Monumente schließlich halten – trotz Berliner Regen.

Am Samstag zwischen 14 und 17 Uhr ist Familientag an der East Side Gallery am Spreeufer. Wer also dieses Jahr am Ostsee-Strand mal richtig protzen und seine gewöhnliche Sandburg mit zehn Etagen und Türmchen veredeln möchte, kann hier bei internationalen Profis in die Lehre gehen.