Baustellenatmosphäre

Ein mäandernder Ausstellungstitel ist Programm im Kölnischen Kunstverein: „Wir müssen heute noch an Ihr Vorstellungsvermögen appellieren, um im Namen der Kunst … den Raum zu behaupten“

von JUTTA VOORHOEVE

Von außen betrachtet ist noch alles in Ordnung. Drinnen sieht das schon anders aus. Wer mitten in der Kölner Innenstadt das Gebäude der „Brücke“ betritt, um die erste Ausstellung des Kölnischen Kunstvereins am neuen Ort zu besuchen, meint, er sei in einem Off-Space und nicht an einer der ersten Adressen der Kunststadt Köln gelandet. Das generelle Finanzdebakel und das besonders gern an der Kunst erprobte Sparpaket hinterlassen klaffende Löcher im Budget. Entsprechend hängen die Leitungen im Foyer des Kunstvereins aus den Löchern in der Wand, die nicht richtig verputzt ist – Baustellenatmosphäre.

Doch was vor einigen Jahren noch schicke künstlerische Strategie der Entkernung und hübsche provisorische Ästhetik im sicheren institutionellen Kunstrahmen war, ist im neuen Domizil des Kölnischen Kunstvereins bitterer Ernst. Nach monatelanger Obdachlosigkeit, verursacht durch die von der Stadt gegen alle – unentschuldbar zu spät gekommenen – Proteste vorgenommene Kahlschlagsanierung am Neumarkt, wo der Kunstverein seit 1967 Teil des architektonischen Ensembles an der Cäcilienstraße gewesen war, nutzt die Direktorin Kathrin Rhomberg mit der aktuellen Ausstellung die Notlage, um die Brisanz der Lage schlagend deutlich zu machen. Und die ist in Zeiten der Entsolidarisierung vor allem auch eine Raumfrage. Nicht nur in Köln. Der provokativ viel zu lange Ausstellungstitel ist Programm: „Wir müssen heute noch an Ihr Vorstellungsvermögen appellieren, um im Namen der Kunst vor- und rücksichtslos den Raum zu behaupten, in den Sie oder wir uns gedrängt haben. Mit welchem Recht, fragen Sie jetzt sicherlich.“

Raum behaupten, das musste die von der Wiener Secession nach Köln gewechselte Kathrin Rhomberg zunächst einmal, um überhaupt in das aktuelle Gebäude einziehen zu dürfen. Das 1949/50 von dem Architekten Wilhelm Riphahn für die britische Regierung entworfene Gebäude „Brücke“ schrieb im Kontext von Entnazifizierung und Demokratisierung der Kultur eine entscheidende Rolle in der Durchsetzung neuer gesellschaftlicher Verhältnisse zu. Ein Ort des Dialogs sollte es damals sein.

Diese historische Dimension will Rhomberg mit der Wahl der Brücke als neuem Haus des Kunstvereins sichtbar machen – und diese historische Folie eben nicht nur historischer gesellschaftlicher Notwendigkeit legt der Wiener Architekt Adolf Krischanitz mit seiner aktuellen Renovierung des Baus jetzt wieder frei. In seinen Originalzustand soll das Gebäude zurücksaniert werden. Bisher ist nur der ehemalige Bibliotheksraum fertig. Da Geld städtische Mangelware ist, bleibt dem Architekten nur ein prozessualer Renovierungsansatz. Der ist also gezwungenermaßen Teil des Konzepts und der Ausstellung zum Thema Raum.

Das fast plakativ eingesetzte Thema ist der Versuch einer Repolitisierung von Kunst. Dafür ist Rhomberg bekannt. Die Macherin der Manifesta 3 in Ljubljana (2000) setzt seit Jahren auf eine veränderte Ausstellungspraxis, in der die Produktionsbedingungen von Kunst in der Präsentation nicht verschwinden, sondern deutlich auftauchen. Auch im Kunstverein hat sie aktionistische, interventionistische und konzeptuelle Modelle versammelt. Und wieder viele osteuropäische Künstler eingeladen. Auch dafür ist Rhomberg bekannt.

So überzeugend der theoretische Rahmen des Ausstellungskonzeptes ist, so enttäuschend ist dafür die ausgestellte Kunst. Zwar hält sie thematisch, was die Theorie verspricht. Und so hat beispielsweise der slowakische Künstler Július Koller eine weiße Kreidelinie als Grenze im Ausstellungsraum platziert und spielt mit deren performativem Moment. Ungewollt latscht der Ausstellungsbesucher durch die Kreide am Boden und trägt diese per Schuhsohle in den öffentlichen Raum der Stadt. Auch das Einbeziehen von Positionen aus dem Ostblock der 70er-Jahre mit Fotodokumentationen der Performancekünstler Sanja Ivekovic und Jiri Kovanda ist löblich. Eine Aktualisierung von subjektivistischen Formen der Aneignung öffentlichen Raums kann nie schaden. Wirklich herausragend sind aber nur drei Arbeiten – und das ist wenig –, die mit einer geglückten Kombination aus unaufdringlicher politischer Message und komplexer Ästhetik bestechen: Die Videoarbeit „Visit Iraq“ (2003) des in Köln lebenden Palästinensers Kamal Aljafari nimmt das verlassene Büro der Iraqi Airways in Genf und die Projektionen auf diesen Ort ins Visier. Humorvoll werden sich widersprechende klischeeaufgeladene Beschreibungen der Anrainer gegeneinander geschnitten. Im Zentrum ruht der identitätslose verlassene Ort, der Zuschreibungen gegenüber resistent bleibt.

Josef Dabernigs Film „Wisla“ (1996) beschäftigt sich auf andere Weise mit Leerstellen. Zwei Männer mit perfekter Fußballtrainer-Gestik sitzen am Rand eines heruntergerockten polnischen Fußballstadions. Der Sound ist laut, das Stadion lärmt. Zu sehen ist aber nichts außer den beiden Männern. Brüchige Wirklichkeit als Imaginationsraum. Imaginär ist auch das merkwürdig ort- und zeitlos in Nebel gehüllte Flughafenszenario von Josh Müllers Videoprojektion „la construction du ciel“ (2001). Es ist nichts weiter als ein Modell im Atelier des Künstlers, was erst der Filmabspann zu erkennen gibt. Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Zurück zur sozialpolitischen Wirklichkeit lautet die Formel. Und wenn sie provisorisch ist. Das ist auch eine Rückbesinnung auf die Institution Kunstverein. Deren Stärke lag immer darin, zwischen Galerie und Museum Unetabliertes und auch ökonomisch nicht Anschlussfähiges zu zeigen. Das ist das Potenzial eines Kunstvereins. Rhomberg hat das folgerichtig erkannt. Vielleicht könnte die Stadt Köln das auch erkennen. Notwendig wäre es. Für 2010 hat man sich als Kulturhauptstadt Europas beworben – und angeschlagene Kunststädte, die sich mit diesem Zustand abgefunden haben, sind bestimmt keine strahlenden Gewinner.

Bis 22. Juni, Kölnischer Kunstverein, Die Brücke, Hahnenstraße 6