friedman
: Justiz betreibt Rufmord

Der Fall Friedman ist ein Skandal – und zwar ein Skandal des Rechtsstaats. Angenommen, kein Vorwurf gegen ihn lässt sich beweisen: Der gute Ruf von Michel Friedman ist dennoch dahin. Der Mann kann keine Tüte Brötchen mehr kaufen, ohne befürchten zu müssen, wissend von der Seite angegrinst zu werden. Und wenn sich jedes einzelne böse Gerücht als zutreffend herausstellen sollte? Dann wäre es an der Zeit, die Kirche endlich zurück ins Dorf zu tragen. Steinchen für Steinchen. Bei Lichte besehen ist die ganze Angelegenheit so dramatisch nämlich nicht.

Kommentar von BETTINA GAUS

Osteuropäische Huren im Hotelzimmer von Friedman? Falls sie dort gewesen sind, dann ist das ausschließlich seine private Angelegenheit. Einzige Einschränkung: Wenn er Anlass zu dem Verdacht hatte, dass die Frauen ihr Gewerbe nicht freiwillig ausübten. Das wäre unerträglich und bei jemandem, der sich konsequent und glaubwürdig gegen menschenverachtenden Umgang mit Minderheiten gestemmt hat, außerdem verlogen. Allerdings möchte man das Urteil darüber ungern ausgerechnet Leuten überlassen, die bislang niemals Interesse an diesem Problem zeigten.

Bleibt das Kokain. Wer kokst, eignet sich genauso gut oder schlecht als öffentliche Ikone wie jemand, der besoffen über der Klobrille hängt. Beides ist nicht toll, soll aber gelegentlich vorkommen. Der unterschiedliche Grad der öffentlichen Ächtung von Drogenmissbrauch orientiert sich mehr an gesellschaftlichen Konventionen als an objektiven Kriterien. Menschen, auch Prominente, sind fehlbar. Zugegeben: Es fällt leichter, Schadenfreude zu unterdrücken, wenn jemand nicht so selbstgerecht auftritt wie Michel Friedman.

Falls er gekokst hat, war das unsagbar dämlich. Seit Jahren provoziert er – wissentlich und absichtsvoll – die Mehrheit der Gesellschaft. Die einen mögen seine aggressive Überheblichkeit nicht, andere lehnen seine konservative Grundhaltung ab, und ganz viele können ihn nicht leiden, weil er Jude ist und trotzdem nicht demütig. Er hätte wissen sollen, dass gerade er sich nicht angreifbar machen durfte. Aber Dummheit allein begründet nachweislich kein Berufsverbot. Außerdem kann Friedman mildernde Umstände geltend machen. Er musste nicht mit einer Justiz rechnen, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit offenbar aus den Augen verloren hat und Rufmord nicht nur zulässt, sondern sogar eifrig daran mitzuwirken scheint.

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