Eleganz des Einzelgängers

Manchen gilt Chow Yun-Fat als „coolster Schauspieler der Welt“. Doch weil er in Hollywood seine Rolle noch nicht gefunden hat, muss er sein Charisma an Filme wie „Bulletproof Monk“ verschenken

von TOBIAS RAPP

Es hat etwas von einem traurigen Paradox. Ausgerechnet die Los Angeles Times war es, die vor Jahren schrieb, Chow Yun-Fat sei der „coolste Schaupieler der Welt“. Doch ausgerechnet Hollywood weigert sich bis heute, diese einfache Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen. Obwohl kaum ein amerikanischer Actionfilm ohne Anleihen beim Hongkong-Kino auskommt, hat es noch kein Produzent gewagt, die offensichtlichste Ausleihe vorzunehmen und Chow Yun-Fat für die Hauptrolle eines Blockbusters nach Hollywood zu holen.

In vielen dutzend Filmen hat Chow Yun-Fat schon gespielt: Komödien, Romanzen, Kung-Fu-Spektakeln. Seinen Durchbruch hatte er mit Filmen wie „A Better Tomorrow“, „City on Fire“ oder „The Killer“: Filme, für die sich die Genrebezeichnung „heroic bloodshed“ durchgesetzt hat und die scheinbar von nichts anderem handeln, als immer spektakulärere Schießereien in Szene zu setzen: ein grandioses Todesballett. Doch genau das, was einem vor fünfzehn Jahren in seiner Rasanz den Atem raubte, wirkt heute, wo jeder Hollywood-Actionfilm mit vergleichbaren Szenen aufwartet, oft recht ermüdend. Dagegen lässt jede Einstellung, die Chow Yun-Fat zeigt, einem auch heute noch das Herz höher schlagen.

Ob er Klarinette spielend in einer Bar sitzt, ob er im blutverschmierten weißen Anzug hinter einer Kirchenbank in Deckung geht oder in einer einzigen großen Bewegung, deren Schönheit noch durch die Zeitlupe betont wird, zu Boden sinkt, eine Pistole aus einem Blumenkübel reißt, sich umdreht und im Fallen das Magazin leer feuert: Es ist nicht so sehr die spektakulär choreografierte Gewalt, die einen in ihren Bann schlägt, es ist Chow Yun-Fats Blick, in dem man je nach Gemütslage Heiterkeit oder Todesverachtung, Verletzlichkeit oder Charme, existenzielle Einsamkeit oder das Vertrauen in die transzendentale Macht der dauerfeuernden Automatikpistole finden kann. Es ist die Eleganz seiner Bewegungen, die ihn wie einen Fred Astaire des Hongkong Noir erscheinen lassen.

Tatsächlich sind es die ganz großen Namen der schweigsamen Coolness-Darsteller, die einem sonst noch als Vergleich einfallen: Steve McQueen, Clint Eastwood, Alain Delon. Nachdem er „A Better Tomorrow“ gesehen hatte, soll Quentin Tarantino wochenlang in einem Trenchcoat herumgelaufen sein und sich geweigert haben, den Zahnstocher aus dem Mundwinkel zu nehmen. Im „Friseur“, einer mittlerweile verblichenen Bar in Berlin-Mitte, konnte man einst „Chow Yun-Fats“ trinken – Gin Tonics, wie Chow sie in seinen Todesopern regelmäßig mit stoischer Miene und lächelnden Augen in sich hineinkippt. Doch jenseits von Asien ist er nie über den Status des Underground-Favoriten hinausgekommen.

Obwohl die „heroic bloodshed“-Filme immer auch davon handelten, dass man Hongkong besser verlassen solle, bevor es an die Volksrepublik China fällt, gelang es Chow Yun-Fat nicht, auf seinem Hongkong-Ruhm eine Karriere in Hollywood aufzubauen. Darin unterscheidet er sich von seinem Stammregisseur John Woo, der den Sprung über den Pazifik relativ mühelos schaffte und seit dem Erfolg von „Face / Off“ in Hollywood Filme mit großen Budgets drehen kann. Zwar hatte Chow Hauptrollen in „The Replacement Killers“ (1998) und in „Hidden Tiger Crouching Dragon“ (2000). Aber man kann es ohne Übertreibung tragisch nennen, dass Hollywood nach Ang Lees Film drei Jahre gewartet hatte, bevor es Chow Yun-Fat noch einmal eine Hauptrolle gab. Vor allem, wenn es eine Hauptrolle in einem Film wie „Bullettproof Monk“ ist.

Dabei wird der Film eigentlich sogar von einer großartigen Idee getragen: Jedem Kung-Fu-Film liegt das Motiv des Lernens zugrunde; jeder Kämpfer hat immer einen Meister, von dem er sich entweder abnabeln muss oder dessen Tod es zu rächen gilt.

Dieses Motiv überträgt „Bulletproof Monk“ buchstäblich vom Tempel ins Kino. Der Tunichtgut Kar (Sean William Scott) arbeitet als Filmvorführer in einem amerikanischen Kung-Fu-Kino namens Golden Tempel, wo er im Vorführraum nach dem Vorbild der Hongkong-Filme trainiert. „Wo hast du gelernt?“, wird er von Chow Yun-Fat gefragt, der einen heimat- und namenlosem Shaolinmönch spielt. „Im Golden Tempel“, antwortet Kar, worauf Chow ihn mustert und sagt: „Deswegen ist deine Kampftechnik so schlampig.“

Ansonsten lässt einem „Bulletproof Monk“ aber die Haare zu Berge stehen. Während man dem halb unsterblichen, halb senilen Nazioberst (Karel Roden) dabei zuschaut, wie er versucht, Chow eine Schriftrolle abzujagen, ertappt man sich tatsächlich bei der Hoffnung, der amerikanische War on Terror möge doch bitte – als Nebenprodukt – endlich neue Role Models für Filmschurken ausspucken als bloß immer wieder aufs Neue fiese deutsche Nazischergen.

Und, so tief greifend das Hongkong-Kino die Ästhetik des Hollywood-Kinos auch verändert hat, seit Quentin Tarantinos „Reservoir Dogs“ sich Ende der Achtziger den Chow-Yun-Fat-Film „City On Fire“ zum Vorbild nahm: Es sind immer Buddy-Filme, die Hongkong-Stars wie Jackie Chan oder Jet Li auf US-Leinwände bringen, meist gemeinsam mit einem schwarzen Ko-Star.

Vielleicht sträubt sich Chow Yun-Fat, der in der Rolle des introvertierten Einzelgängers am besten ist, gegen eine solche Besetzung. Schließlich leben seine Charaktere gerade nicht von ihrem exotischen Charme, sondern davon, dass sich existenzialistisch gestimmte Sechzehnjährige jeden Alters und jeder Herkunft in ihm wiederfinden können. Doch ein Regisseur, der sich trauen würde, einzig und allein auf das Charisma und die Eleganz von Chow Yun-Fat zu setzen, hat sich in Hollywood leider noch nicht gefunden.

„Bulletproof Monk – Der kugelsichere Mönch“. Regie: Paul Hunter. Mit Chow Yun-Fat u. a. USA 2003, 104 Min.