„Mode wird wieder natürlicher. Da ist der Bauch wichtig“

Wer sich auf den Nabel schauen lässt, den treibt das Bedürfnis nach Geborgenheit, sagt der Designforscher Sebastian Fischenich. Er ist daher sicher: Hüften werden wieder runder

taz: Herr Fischenich, weshalb gibt es in Läden nur T-Shirts zu kaufen, die den Bauch frei zeigen?

Sebastian Fischenich: Das hat mit der Kommerzialisierung zu tun, mit dem Nachstellen von Popidolen wie Britney Spears, die das vorzeigen. Gerade im jungen Markt wird das kopiert.

Warum tragen Popidole bauchfrei?

Primär geht es gar nicht um Sex, sondern um ein unbewusstes Bedürfnis nach Geborgenheit. Man fokussiert in diesem Moment den Bereich des Körpers, der mit Wohlbefinden zu tun hat und viele Urbedürfnisse weckt. Das findet sich bereits in der Ikonografie des Barock. Gerade bei Mariendarstellungen war oft die Figur Mariens so inszeniert, dass das Zentrum des Bildes der Bauch war. Als Ausdruck für das Bedürfnis nach einem Rückzugsort und für den Urspung für das größte Geheimnis: die Geburt des Menschens. Dazu sehe ich in der bauchfreien Mode auch eine Verbindung.

Das heißt, es gibt wieder ein Bedürfnis nach Geborgenheit?

Ein unbewusstes. Man fokussiert nicht die Brust, also primäre Geschlechtsmerkmale, wozu es viele Bilder und Assoziationen gibt, sondern bedeckt das Dekolleté und öffnet den Bauch, setzt ihn ins Zentrum.

Ist der Bauch eine Herausforderung für einen Modedesigner?

Auf jeden Fall. Er ist für viele Leute der Teil des Körpers, mit dem sie am meisten kämpfen oder hadern. Denn Mode- und Kosmetikindustrie suggerieren, dass dieser Bauch wegmuss. Jetzt kann man wieder eine starke Entwicklung zu runderen Formen sehen. Der Bauch wird zugelassen. Sogar das französische Modemagazin Elle hat vor kurzem auf dem Titel eine Frau mit absoluten Rundungen gezeigt – ungewöhnlich für eine Zeitschrift, die sich bis dahin ausschließlich mit kosmetischer und plastischer Chirurgie beschäftigt hat, wenn es um Schönheit ging. Es gibt wieder eine Entwicklung zu einer Form von Weiblichkeit, die viel natürlicher ist. Da ist der Bauch eine ganz wichtige Sache.

Ist es einfacher, Mode zu entwerfen, wenn die Formen runder werden?

Nein, schwieriger. Auf einem platten Körper kann man einiges drapieren. Einen Bauch zu bearbeiten ist eine größere Herausforderung für den Umgang mit Schnitt und Stoff.

Wie wird die Mode dann in den nächsten Jahren aussehen?

In der nächsten Saison wird sie noch viel stärker in so eine gerade, strenge Linie gehen. Ich denke, über lange Sicht wird es viel flächigere Kleidungsstücke geben.

Flächiger? Aber doch nicht sackförmig?

Nein. Das wäre ein bisschen gemein. Flächig meint Kleidungsstücke, die sich aus Rechtecken oder Quadraten und Kreisen entwickeln werden. Das ganze Kleidungsbild wird viel grafischer, ruhiger, mit weniger Mustern. Eigentlich essenzieller, eher auf die Form reduziert.

Bleibt das Ideal vom Männerunterleib. Wird auch der Waschbrettbauch wieder in Vergessenheit geraten?

Ich denke schon. Damit verbindet man eine künstliche Art von Sportlichkeit, die nicht für eine natürliche Entwicklung des Körpers steht. Und die wird man künftig stärker betonen. Man sieht bereits jetzt in Modestrecken mehr behaarte Männer. Oder auch in der Parfumwerbung, die lange Zeit nur Männer benutzt hat, die am ganzen Körper rasiert waren.

Frauen werden also weiblicher und Männer männlicher?

Beide werden natürlicher. Das Schönheitsideal wird sich mehr aus Selbstverständlichkeit definieren.

Eine schöne Nachricht. Wie wird sich diese Natürlichkeit in der Männermode niederschlagen?

Männermode braucht immer sehr lange. Aber auf Modeschauen in Mailand für die Trends des kommenden Sommers kann man jetzt schon etwas Interessantes sehen: sehr große Dekolletés bei Männern. Sie zeigen sehr viel vom Oberkörper. Die Models hatten aber einen ganz natürlichen Körperbau.

Große Dekolletés, damit man die Behaarung besser sieht?

Ja, genau. INTERVIEW: SUSANNE LANG