Eros, unser ewiger Rivale

Mit einem neuen Album meldet sich Eros Ramazzotti zurück, es ist seine neunte Platte. Wie sie klingt? Egal. Der Mann sieht nämlich immer noch viel zu gut aus. Sogar die grauen Schläfen stehen ihm. Es ist zum Heulen

von ARNO FRANK

Meine Mutter zum Beispiel. Die mag den Eros Ramazzotti, aber die mag auch Meat Loaf und Möllemann, von Westernhagen gar nicht zu reden. Aber sonst? Fällt mir beim besten Willen niemand ein, der eine Platte des italienischen Schlagersängers sein Eigen nennt. Oder es zugeben würde. Obschon mir beim besten Willen niemand einfällt, der Eros Ramazzotti nicht kennen würde.

Und ich? Ich muss sehr lange dem Ariadnefaden meiner Erinnerung folgen, bis ich ihn doch noch auftreibe. An einem sehr, sehr lange vergangenen Freitagfreibadnachmittag plärrten diese vier Silben aus dem Radio, „Musica è“. Es klang eher wie „Musica … äh“ oder „Musica, ey!“ – und tschonck! setzte er sich fest, der Eros, in dieser dubiosen Hirnregion, wo alles gespeichert wird, was eigentlich nicht gespeichert gehört.

1988 muss das gewesen sein, und es ist bis heute die einzige Melodie aus der Kehle von Eros Ramazzotti, die mir im Gedächtnis haften blieb. Da wusste ich weder, wie er aussieht, der Eros, noch kannte ich überhaupt seinen Namen. Die süße Sabine war es, neben der ich in Biologie saß, die EROS RAMAZOTTI auf ihr ledernes Bree-Stiftmäppchen gekritzelt hatte. „Eros, hihi. Ramazotti, höhö. Warum nicht gleich Amor Grappa?“ Was war das, bitte schön, für ein schmockiger Künstlername, den man mit „Liebe unter Alkoholeinfluss“ übersetzen kann?

Dergestalt war meine spätpubertäre Reaktion, doch beinhart und eisern Sabines Konter: „Du hast ja kei-ne Ahnung. Eros ist in Italien ein ganz normaler Vorname, und er ist wun-der-bar“. „Stimmt“, sekundierte Sabines Freundin Julia, „aber ‚Ramazzotti‘ wird mit zwei z geschrieben.“

Zu einer Zeit, da Sinnsuche vor allem im Plattenladen betrieben wurde, da sich die Geister schieden in Depeche-Mode-Fans hier und U2-Fans dort, da schien es plötzlich eine erotische Option zu geben, die sich jeder dikursiven Beurteilung entzog: Eros Ramazzotti.

Gehört wurde seine Musik vor allem von Klassenkameradinnen, die sich für Musik nicht interessierten. Dave Gahan repräsentierte einen morbiden, fast katholisch kühlen Schick, Bono Vox ein unbeirrt protestantisches Gewissen – aber fährt man hunderte von Kilometern zu einem Eros-Ramazzotti-Open-Air? Tanzt man in der Dorfdisko ab zur Musik von dem? Eben. Lieber die neue Talk Talk auflegen.

So einfach aber ließ sich das Problem nicht aus der Welt schaffen, zumal sich der Italiener weigerte, als klassische Eintagsfliege baden zu gehen – SWF 3 hielt uns die Stimme im Gedächtnis, Stunde um Stunde, Tag für Tag. Und so beschlich mich erstmals, beim Blick auf das Cover von „Musica è“ der Verdacht: Es könnte mit Aussehen zu tun haben.

Weich gezeichnet, latent leidend präsentierte er sich, mit verletzlichem jungenhaftem Charme. Ein bisschen wie der ältere Bruder von Robbie Williams – ohne Tattoos, ohne flegelhaftes Benehmen und abzüglich der spitzbübischen Komik. Eros war süß, wie es jemand seines Namens sein musste, und er war ernst. Weil er es sein musste.

Geboren ist er im römischen Stadtteil Cinecittà, wo vom Italowestern bis zu Fellini italienische Kinogeschichte geschrieben wurde. Entdeckt wurde er auf dem San-Remo-Festival. Legendär, sehr legendär. Leicht habe er es in seiner Jugend nicht gehabt, hört man. Und dass er, ganz Künstler, seine Sorgen und Nöte in seinen Songs verarbeite. Die waren natürlich meistens kordialer Natur, um Frauen ging’s, klar, die angehimmelt oder denen nachgetrauert wurde – die üblichen Aggregatzustände der Liebe. Und von wem würde man derlei wohl am allerliebsten hören? Von einem Latin Lover, genau.

Aber nicht einmal dieses Klischee mochte Ramazzotti bedienen. Latin Lover sind ölige Gestalten in billigen Anzügen, die auf willige Opfer warten. Ein Latin Lover ergreift die Initiative und nimmt dich im Handstreich. Ein Latin Lover, den man trösten will, ist eine lächerliche Figur und kein Latin Lover mehr. Eros Ramazzotti war sozusagen das Update, die Version 2.0 eines lateinischen Liebhabers. Auf so was wie ihn haben die Achtzigerjahre offenbar gewartet. Nein, ihn wollte man eigentlich immer in den Arm nehmen und ihm sagen: „Alles halb so wild, Alter, das wird schon wieder, nicht mehr traurig sein!“ Dazu gab’s Pressefotos von einem sehr nachdenklichen Eros mit kaum behaarter, nackter Brust zwischen weißen Laken – und mit Gitarre, oh yeah.

Das war vor fünfzehn Jahren so, und es hat sich bis heute nicht geändert: „Nur gestern gab es in meinem Leben eine Sonne, die mir Freude schenkte. Und ich glaubte nie, dass sie weggehen würde“, singt er auf seiner neuen, neunten Platte „Eros 9“ – und jeder denkt sofort, hach, an das tragische Ende seiner „Traumehe“ mit Michelle Hunziker. Und dem Fachblatt Bunte gab er neulich ein entsprechendes Interview: „Die Frauen meinen doch alle nicht mich, die meinen den Sänger Eros Ramazzotti. Am liebsten wäre mir, ich würde jemand kennen lernen, der nichts von mir weiß. Aber wo soll ich die finden?“ Ja, wo bloß?

So spricht wahrlich kein libidinöser Jäger. So spricht ein schwermütiger Vierzigjähriger mit ergrauten Schläfen. Einer, der sogar für die Ehe taugt – hätte ihn diese blöde Nuss nicht verlassen. Michelle Hunziker – eine Yoko Ono für Arme. Die Trennung macht ihn, kühl betrachtet, nur stärker, weil sie seiner notorischen Melancholie Authentizität gibt. Nicht mal die konnte ihn glücklich machen. Ich könnte. Er ist kein Tröster der Friseusen, nein, die Friseusen müssen ihn trösten. Genau davon können sie jetzt weiterträumen.

Hinzu kam, dass auch die Musik ganz anständig war, auf dem Niveau halt von Zucchero oder Gianna Nannini – nicht Al Bano & Romina Power. Trotzdem dürfte diese diffuse südländische Glasur zu seinem Erfolg beigetragen haben. Den Keim der transalpinen Sehnsucht nach Gardasee und Rimini, den jeder Deutsche in sich trägt, Ramazzotti wusste ihn bestens zu wässern.

Jedenfalls: Immer (immer!) wankte man zu dick, zu doof oder zu dumm durch die Tanzschulen und Frauen hinterher, die immer (immer!) von einem kleinen Eros träumten, und sei’s der Ersatzitaliener von der Eisdiele gegenüber. Ein Role Model über Bande sozusagen: Kein Mann will wirklich aussehen wie Eros Ramazzotti, aber alle Frauen wollen, dass jeder Mann aussieht wie Eros Ramazzotti. Braune Haut, weiche Züge, eine Spur von Silberblick. Überspitzt formuliert, einerseits. Andrerseits muss es einen Grund geben, warum der Mann noch immer „im Geschäft“ ist. Es ist die stille, anhimmelnde Verehrung, die Frauen ihm entgegenbringen.

Es ist kein Wunder, dass ausgerechnet ein eher durchschnittlich attraktiver Österreicher (!) wie Rainhard Fendrich das Phänomen auf den Punkt brachte und das männlich-reaktionäre Ressentiment in Worte fasste: „Der Gatte im Flanellpyjama vergreift sich nur am Tiefkühlfach. Sie träumt von Eros Ramazottel und Julio Iglesias, doch neben ihr der zahme Trottel sagt nur: ‚Gib Ruh, jetzt les ich was‘ “, heißt es in „Macho, Macho“ – der Song kam im Radio gern nach irgendeinem Hit von Eros, und man konnte die Augen zu grimmigen Schlitzen verengen: „Ja, der Scheißramazottel!“

Umgekehrt könnte es natürlich sein, sehr gut sogar, dass Eros-Fans ihrerseits tendenziell Nest bauende Langweilerinnen sind, die ihrem Gatten auch mal einen Flanellpyjama zu Weihnachten schenken. Das verrät ihnen Eros natürlich nicht. Er besingt keine Cellulitis, keine Krähenfüße, auch keine Schwangerschaftsstreifen – sondern das Ewigweibliche an sich.

Und weil es tatsächlich so etwas wie das Ewigweibliche gibt, kann sich ein Eros Ramazzotti auch ewig halten. In den Charts, in der Presse, in den Herzen seiner Fans. Der braucht keinen Starschnitt – er ist selbst einer, der sich aus idealen Facetten zusammensetzt. Er wird eine neue Frau finden (egal wo, vielleicht bei einem Konzert in Essen oder Regensburg, wahrscheinlich aber eher in Mailand oder Monaco), und dann, bei „Eros 10“, der Bunten erzählen, warum er jetzt wieder fröhlichere Musik schreibt.

In den USA hätten sie ihm längst, wie Tom Jones, eine Show im Entertainerfreigehege von Las Vegas gegeben. Dort würde er singen und schmachten bis zum Jüngsten Gericht. Und sich wegducken, wenn wieder mal ein Büstenhalter auf die Bühne geworfen wird. Mama, ich bitte dich, reiß dich zusammen! Ich tu’s doch auch.

ARNO FRANK, Jahrgang 1971, mag „Adesso tu“ von Eros Ramazzotti ausgesprochen gern