Teetrinker unter sich

Fünf Wochen nach dem umstrittenen Grand-Prix-Ausgang ist es amtlich: Die Iren mochten Russlands Tatu wirklich nicht. Auch mit TED null Punkte

von JAN FEDDERSEN

Sertab Erener, die 38-jährige Sängerin aus der Türkei, darf sich nun erst recht als Siegerin des Grand Prix Eurovision fühlen. Ab sofort ist letzter Zweifel beseitigt, in Istanbul soll man am Freitagabend deshalb gar mit Minztee angestoßen haben: Das irische Fernsehen gab kurz zuvor das Resultat seiner TED-Abstimmung zum Grand Prix Eurovision bekannt.

Denn die Wertung, die aus Dublin vor fünf Wochen gen Riga durchgegeben wurde, war wie in längst vergangenen Zeiten die einer Expertenjury – und solche Gremien stimmen traditionell meist konservativer, am Zeitgeist gering orientiert ab. Die Iren gaben zur Begründung an, acht Minuten nach dem Ende des TEDs, der Abstimmung per Telefonanruf, sei das Computersystem der Telefongesellschaft zusammengebrochen – kein anderer Grund habe eine Rolle gespielt. Trotzdem waren vor allem die russischen Offiziellen misstrauisch geblieben: Ihre Kandidatinnen, die Erfolgskombo Tatu, hatten (wie auch die Türkin Sertab Erener) aus Irland keinen einzigen Punkt erhalten. Dies, so Moskau, sei doch seltsam, immerhin hätte die Gruppe in den Monaten zuvor mit „All The Things She Said“ einen Monsterhit gehabt. Und bei einemTelefonvotum seien Acts, die zuvor öffentlich (vor allem bei Jugendlichen) bekannt wurden, immer vorne gelandet.

Das Misstrauen schien berechtigt: Irland, dieses Land tiefkatholischer Teetrinker, so der Verdacht, wollte einen Sieg der freizügigen Russinnen schon aus Gründen der Züchtigkeit verhindern. Beim Moskauer Sender ORT witterte man gar ein europapolitisches Komplott: Schließlich sei die Türkei der EU dann doch allemal genehmer als Russland.

Verhinderungstaktik

Kurzum: Fünf Wochen lang wirkte die Geschichte der unfähigen irischen Telefongesellschaft wie eine Mixtur aus slawischer Verschwörungstheorie und eurovisioneller Konspiration. Denn die Grand-Prix-Zentrale in Genf wollte partout verhindern, dass die irischen TED-Zahlen öffentlich bekannt werden.

Doch die Gesetzeslage in Irland konnte das Ansinnen verhindern: Der Freedom of Information Act zwingt alle öffentlichen Institutionen auf der Insel zur Herausgabe von Informationen. Also rückte Peter Feeney vom Freedom of Information Office in Dublin jetzt offiziell die Zahlen heraus. Und siehe: Auch bei der TED-Abstimmung erhielten Russland und die Türkei keinen Punkt, vielmehr landeten Tatu und Sertab Erener dort im Ranking auf den Plätzen 12 und 13 (4,23 bzw. 3,92 Prozent). Die meisten Anrufe aus Dublin, Galway, Cork, Limerick und der irischen Provinz erntete Österreichs Alf Poier – der allerdings wiederum bei der irischen Notjury durchfiel. Die Belgier von Urban Trad, auf Platz zwei in Riga zwischen der Türkei und Russland, erhielt beim TED zwei statt wie von der Jury zehn Punkte.

Das bedeutet: Die Türkei hätte (wie gehabt) mit 167 Punkten gewonnen – und Russland wäre mit Tatu Zweiter geworden (164), Belgien hätte den dritten Rang mit 157 Punkten belegt. Deutschlands Lou wäre so mit vier statt mit sechs Zählern bedacht worden – und trotzdem untergegangen. Den Rest des Rankings hätte der Iren-TED nicht verändert.

Am offiziellen Resultat ändert die TED-Enthüllung ohnehin nichts; Genf betrachtet die irische Panne und ihre Folgen – wie beim Fußball – als Tatsachenentscheidung des Abends. Fakt ist übrigens auch, dass der nächste Grand Prix Eurovision längst geplant wird – für den 15. Mai 2004. Und zwar in Istanbul und nicht im Kreml.