Floh im Zirkus der Giganten

Susanne Keil heißt die deutsche Meisterin im Hammerwurf. Weil sie über eine gute Technikverfügt, hebt sie sich von der Konkurrenz ab. Ihre Ziele: der WM-Titel und zwei Kilo zunehmen

aus Ulm FRANK KETTERER

Bislang durfte man sich Hammerwerfen so vorstellen: Große, dicke Männer steigen in einen Käfig, drehen sich ein paar Mal im Kreis und schleudern eine Metallkugel auf 80 Meter und noch mehr – unter mächtig viel Gebrüll, versteht sich. Dann, ein paar Jahre erst ist das jetzt her, kam eine kleine Revolution und große, dicke Frauen stiegen in den Käfig, drehten, warfen und brüllten in ähnlicher Manier. Hammerwerfen für Frauen war geboren und die Leichtathletik um eine Disziplin reicher, viel schöner hat sie das nicht unbedingt gemacht. Bis Susanne Keil kam.

Auch sie, die Frankfurterin, schleudert Hämmer durch die Gegend, also Vierkilokugeln an einem dünnen Drahtseil. Auch sie kurbelt durch den Ring, schneller als alle Konkurrentinnen, auch sie stößt einen kleinen Schrei aus, wenn das Gerät die Hand verlässt, natürlich. Und dennoch hat Susanne Keil für eine kleine Revolution gesorgt. Man sieht das gleich: 172 Zentimeter groß, 69 Kilo schwer, auch sonst eine aparte Erscheinung. Susanne Keil, so könnte man sagen, wirkt unter ihren Konkurrentinnen wie ein Floh im Zirkus der Giganten. Susanne Keil sagt: „Man muss nicht unbedingt dick sein, um weit werfen zu können.“

Neuer deutscher Rekord

Das hat die Frankfurterin in dieser Saison schon mehrfach bewiesen, auch am Wochenende bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Ulm. Gleich drei Mal hat sie die 70-Meter-Marke übertroffen; am besten gelang ihr der zweite Versuch. Bei 71,15 m schlug der Hammer in den Rasen des Donaustadions ein. Das ist eine Weltklasse-Weite. Bei der Weltmeisterschaft Ende August darf sich die 25-Jährige nun Hoffnungen auf eine Medaille machen. Das ist selten im Reich der deutschen Leichtathletik, auch wenn Keil das selbst vorsichtiger sieht. „Vielleicht wird man bei der WM mit 71 Metern Sechste, vielleicht wird man Dritte“, sagt sie. Wer weiß, vielleicht wirft sie in Paris ja erstmals 72 Meter weit, ihr eigener deutscher Rekord steht derzeit bei 71,93 m, schon drei Mal hat sie ihn in dieser Saison verbessert. Der Weltrekord der Rumänin Mihaela Melinte steht bei 76,07 m, datiert allerdings aus dem Jahre 1999.

Egal, wie es kommt bei der WM, schon jetzt hat das deutsche Leichtathletik-Publikum aufgehorcht. In Ulm jagte während des Frauen-Hammerwerfens sogar die Welle durchs Stadion, Donau-Welle heißt das in Ulm. Das ist erwähnenswert, weil Susanne Keil und Kolleginnen ihrer Passion normalerweise in der menschenleeren Abgeschiedenheit der Neben- und Trainingsplätze nachgehen. Sogar vor Fernsehkameras und Mikrofonen wurde die Frankfurterin am Samstag immer wieder gebeten, obwohl Frauen-Hammerwerfen bislang von den Medien kaum beachtet wurde.

Susanne Keil hat es genossen, einmal im Rampenlicht zu stehen, sogar extra fein gemacht hat sie sich fürs Publikum: In Ulm trat sie erstmals in einem ebenso flotten wie figurbetonenden roten Röckchen-Einteiler an. Ein Experiment sei das gewesen, ließ sie hernach wissen. Das Experiment ist gelungen, sie will es jetzt öfters wiederholen. Vielleicht bringt es ihr ja sogar einen Sponsor ein, es wäre ihr erster Geldgeber.

Auch sonst hat Susanne Keil ein paar nette Geschichten auf Lager, die sich zu erzählen lohnen. Jene zum Beispiel, wie sie zum Hammerwefen gekommen ist. Zufällig nämlich: Weil bei einem Sportfest in ihrem Heimatverein das Hammerwerfen mangels Beteiligung vor der Absage stand, stellte sich die A-Jugendliche, die bis dato Hürdensprint trainierte, als dritte Teilnehmerin zu Verfügung – und gewann mit 33,96 m auf Anhieb. „Da hab ich gesehen, dass das gar nicht so schwer ist“, erinnert sich Susanne Keil. „Das hat gleich Spaß gemacht.“

Noch steigerungsfähig

Der Spaß ist geblieben, das mit der Leichtigkeit beim Wurf dürfte sie ein paar hundert Würfe später so kaum mehr empfinden. Hammerwerfen gehört zu den technisch anspruchsvollsten Disziplinen in der Leichtathletik. Keil kommt das durchaus entgegen. Mit ihrem Mehr an Technik kann sie das ein oder andere Kilo weniger an Masse kompensieren, mit dem die anderen Damen den Hammer beschleunigen. Anders als mit perfekter Technik hätte sie erst gar keine Chance gehabt, sich in die Weltspitze zu kurbeln. „Ich muss technisch halbwegs Perfektionistin sein, um weit werfen zu können“, sagt sie. Genau in diesem Punkt sieht die Frankfurterin auch Reserven für sich. „Da sind schon noch technische Fehler drin. Das ist noch steigerungsfähig“, glaubt sie.

Das gilt auch für ihr Gewicht. „Ich habe vom letzten Jahr auf dieses Jahr zwei Kilo zugenommen“, sagt Susanne Keil. In der gleichen Zeitspanne steigerte sie ihre Bestleistung von 68,17 m auf 71,93 m. „Nächstes Jahr noch mal zwei Kilo mehr wären nicht schlecht“, findet Keil. „Solange ich mich noch im Spiegel anschauen kann, ist das kein Problem.“

Aus dem Floh muss ja nicht gleich ein Gigant werden.