Das umfassende Netzwerk gegen die Israelis

Hamas entstammt einer sozialen, kulturellen und religiösen Hilfsorganisation. Sie ist heute die mächtigste palästinensische Terrorgruppe

BERLIN taz ■ Das Wort Hamas bedeutet im Arabischen Mut, Tapferkeit. Zugleich ist es ein Akronym für Harakat al-Muqawamah al-Islamijah, den vollständigen Namen der Organisation, was schlicht islamische Widerstandsbewegung bedeutet. Gebildet wurde sie offiziell im Januar 1988, einen Monat nach Beginn der ersten Intifada. Ihr Geburtshelfer war die Muslimbrüderschaft unter Führung des querschnittgelähmten und fast tauben Scheich Ahmed Jassin (Foto), der seine Organisation 1978 unter dem Namen Islamische Gemeinschaft legal in Israel hatte registrieren lassen. Ihr Grundpfeiler bestand in sozialen Aktivitäten. Sie baute eine Vielzahl religiöser, pädagogischer und kultureller Institutionen auf, die ihr als Organisation auch eine politische Bedeutung verliehen. Da sie sich bis 1988 nicht am militärischen Kampf gegen Israel beteiligte und für nationalistische Parolen der PLO unzugänglich war, stieß sie bei den Besatzungsbehörden auf wohlwollende Duldung. Erst im September 1989 wurde sie verboten.

Die ersten gewalttätigen Aktivitäten der Hamas galten den Palästinensern selbst. Einem Dschihad gegen Israel stellte Hamas die „Reinigung“ der eigenen Gesellschaft voran. Kollaborateure, Drogendealer, Kleinkriminelle, Zuhälter und Pornohändler gehörten zu ihren ersten Opfern. Zu 46 Morden bekannte sich die Organisation, weitere 40 wurden ihr bis Anfang der 90er-Jahre zugeschrieben. Im Frühjahr 1988 gab sich Hamas eine Verfassung mit 38 Artikeln und dem Namen „Charta Gottes“. In Artikel 8 heißt es schlicht: „Allah ist das Ziel, der Prophet ist sein Beispiel (Modell), der Koran die Verfassung, der Tod für die Sache Allahs der höchste Glaubensbeweis.“ Das gesamte ehemalige Mandatsgebiet Palästina betrachtet Hamas als von Gott gegebenes Land (Waqf), das niemals mit Juden oder anderen Ungläubigen geteilt werden darf. Die Rückeroberung des Landes ist heilige Pflicht, auch wenn das 100 Jahre dauern mag. Waffenruhen oder Stillhalteabkommen sind legitime Finessen auf dem Weg zu diesem Ziel.

Im Jahre 1991 begründete der Militärbeauftragte der Hamas, Zakkaria Walid Akel, die Izzedin-al-Kassam-Brigaden (Kata’ ib Izz al-Din al-Qassam), benannt nach einem islamischen Führer, der von 1936–39 in Palästina gegen die Briten kämpfte. Von 1989 bis Ende 1993 ermorden Hamas-Aktivisten 35 israelische Soldaten und Siedler. Aber erst 1994, nach der Ermordung ihres Bombenbauers Jahija Ajasch und dem Massaker an 29 Muslimen in der Ibrahim-Moschee in Hebron durch einen israelischen Siedler, setzt Hamas Selbstmordattentäter in Israel selbst ein. Seit Beginn der Al-Aksa-Intifada im September 2000 hat die Hamas 73 Selbstmordanschläge ausgeführt.

Während die Anhängerschaft von Hamas derzeit auf knapp 30 Prozent der Palästinenser beziffert wird, ist die Zahl der aktiven Mitglieder unbekannt. Ernst zunehmende Schätzungen sprechen von dreitausend bis zu zehntausend Aktiven. Finanziert wird das soziale und militärische Netzwerk der Hamas durch islamische Stiftungen, die über den gesamten Erdball verstreut sind. Einige sind in den USA und Großbritannien verboten worden. Auch Staaten wie Saudi-Arabien, Iran, Sudan und die Emirate am Golf gehörten zu den Finanziers. GB