theorie und technik
: Schnappt Shorty

Halt am Laufstall suchen?

Man weiß oft gar nicht mehr so genau, wann man begann, seine heiß geliebten Jugendzeitschriften nicht mehr für Brother’s little helper, sondern für Agenten des Kapitals zu halten. Vermutlich war es bei Yps schon der Fall, sodass man für die kalkulierten Zärteleien von Jetzt weit gehend unempfänglich wurde. So ficht mich auch nicht mehr an, wenn die Gruner-&-Jahr-Kopfgeburt Neon über mich und meine Nachbarn behauptet, wir würden als „New-Economy-Geschädigte“ nun alle „Halt am Laufstall suchen“ und deshalb Kinder kriegen, was das Zeug hält. Denn das ist schlicht hanebüchen. Es geht um Altersweisheit, nicht um irgendwelche Gefühlskrücken. Der Wahrheit näher kommen da die Anzeigenseiten. Für den neuen Nissan Micra haben zugekokste Kreative einen smarten Neologismus erfunden: „Komfagil“ – komfortabel und trotzdem agil. Das erklärt die Geburtenrate am Prenzlauer Berg schon eher.

Auch bei Marius Babias, Kurator der Kokerei Zollverein in Essen, hätte eine halbe Stunde Neon-Lektüre wohl vier Stunden Theoriearbeit ersetzt. Für seine „Theorie-Novelle“ mit dem Titel „Ware Subjektivität“ hat er gehörig Symptome gesammelt, um den ganzen Kladderadatsch um prekäres Arbeiten, smoothe Selbstvermarktung und zwangsbohemistischen Lifestyle in eine knappe Darreichungsform zu bringen. Und wie „fühlt“ sich das – neontechnisch gesprochen – an? Nun, man wird sie nicht wirklich vermissen, die Neunziger. Denn ihre gesammelten „Authentizitätssurrogate“, „Wirklichkeitskulissen“ und „Subjektivitätsattrappen“ haben uns diskursive Langzeitarbeitslose nicht von ungefähr vom Mobile Office in die Kitas getrieben. Eine Aussicht auf Besserung scheint auch künftig nicht in Sicht: „Angesichts der allgegenwärtigen Verwandlung alles Lebendigen in eine Ware würde sich Gregor Samsa, Kafkas tragischer Held, heute nicht mehr in einen Käfer, sondern in ein Snowboard der Marke Shorty’s verwandeln.“

Aber natürlich will auch diese Krisendiagnose gefallen. Sie tut dies mit ein bisschen Manöverkritik. Denn für die ornamentale Anordnung der Lebenswirklichkeit, welche die Auseinandersetzung mit sozialen Konflikten nur unter aufmerksamkeitsökonomischen Gesichtspunkten sucht, macht Babias vor allem die Macher selber verantwortlich: „Der expansive Charakter des Stilpluralismus hat die Produktionssphäre durchdrungen und die Bewertungskriterien des Ästhetischen neu gemischt. Gruppenzugehörigkeit, Status, Coolnesskompatibilität und Persönlichkeitsdesign gewinnen, Programmatiken und politische Kriterien verlieren an Bedeutung.“ Insofern müsse „es in der Kritik darum gehen, die in der Millenniumserlebniskultur verwischten Konflikt- und Widerstandslinien zwischen Kunst, ästhetischem Devianzverhalten, Konsum und Mikropolitik freizulegen.“

Doch gerade weil die Grenze „heute zwischen Pop und Sozialpolitik“ verläuft, ist es fragwürdig, dass Babias diese Issues ausgerechnet am Osten vorbeischmuggeln will. Denn so muss seine kleine Chronik der Umschreibungsprozesse etwas hilflos an dieser einen unerhötten Begebenheit ansetzen: „Am 9. 11. 89 fing die ganze Scheiße an.“ JAN ENGELMANN

Marius Babias: „Ware Subjektivität. Eine Theorie-Novelle“. Verlag Silke Schreiber, München 2002, 148 Seiten, 21 €