„Die Deutschen sollten sich entspannen“

Der schwedische Bildungsreformer Mats Ekholm sieht keine Zukunft für Asiens Paukschulen. „So viel, wie dort in die Köpfe gepresst wird, kann man gar nicht behalten.“ Dennoch kann Deutschland von den erfolgreichen Pisa-Ländern etwas lernen: Dass ein Land gemeinsame Bildungsziele braucht

taz: Korea und Japan haben ganz andere Bildungssysteme als Finnland oder Schweden, waren beim Pisa-Vergleich aber auch sehr erfolgreich. Hat Sie das überrascht?

Mats Ekholm: Nicht bei Japan, etwas bei Korea. Wir wussten von Japans Tradition, seine Schüler unter Stress zu setzen. Das System ist rigide und autoritär, es gibt kaum Zeit für Gruppenarbeit. Da überraschen die guten Ergebnisse nicht in den Bereichen, wo es um das Abfragen von Wissen geht. Von den Koreanern hatten wir noch nicht so viel mitbekommen, deshalb waren wir etwas erstaunt. Ihr System ist freundlicher als das Japans.

Können deutsche Bildungsreformer davon etwas lernen?

Die Deutschen können von Ostasien lernen, wie man entspannt bleibt.

Mehr nicht?

Dass man seine Kinder nicht so drillen soll. Manchmal scheint es in Deutschland entsprechende Tendenzen zu geben, also diese preußische Art. In Japan und Korea lernen Kinder zu viel in den Schulen. Man kann aber doch als Erwachsener gar nicht so viel Wissen gebrauchen, wie dort versucht wird, in den Kopf eines Jugendlichen zu pressen.

Trotzdem waren diese asiatischen Länder bei Pisa gut.

Japan und Korea zeigen, dass es hilfreich ist, den Schulen klare Aufgaben und Ziele zu geben. In Deutschland müssten die Bundesländer gemeinsame Bildungsstandards entwickeln. Die gibt es in Skandinavien wie in Japan und Korea.

Ist Ihre „Kuschelpädagogik“ auf die „Pauksysteme“ Asiens überhaupt übertragbar?

Das ist sicher ein langer Weg. In Skandinavien haben wir aus den Erfahrungen mit Nazideutschland gelernt. Wir haben uns sehr darum bemüht, die Menschen zu ermutigen, sich gegen Diktaturen zu wehren. Das bedeutet für das Bildungssystem, Jugendliche zum kritischen Denken und gegen Autoritarismus zu erziehen. Japan bekämpft noch immer das Erbe seines Kaiserreichs. In Korea ähnelt das Bildungssystem dem amerikanischen System. Es sind aber nur Kopien der Strukturen – im Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern muss sich noch viel ändern.

Was zum Beispiel?

Das US-System enthält viele demokratische Elemente, die USA waren schließlich das große Labor für Demokratie. Es gibt dort ein Schüler/Lehrer-Verhältnis, das uns stark beeinflusst hat.

Hat Ihnen das bei Pisa geschadet? Die Studie hat ja auch die Disziplin der Schüler gemessen.

Ein bisschen hat es geschadet, ja. Es wurde gefragt, wie lange es dauert, bis es in der Klasse ruhig ist. Offenbar glauben die Pisa-Forscher, eine gute Disziplin bedeute, dass es schnell ruhig ist. Unser Umgang ist ganz anders. In Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen haben die Schüler geantwortet, dass es fünf oder zehn Minuten dauert – denn bei uns wird erst mal diskutiert, wenn ein neuer Unterrichtsstoff beginnt. Dann ist es nicht leise, sondern etwas chaotisch. In Korea dagegen wird es sofort ruhig, wenn der Lehrer das Klassenzimmer betritt. Aus unserer Sicht ist das keine schlechte Disziplin, sondern ein anderes Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern.

Korea ist ein ehrgeiziges Schwellenland. Welche Rolle spielt die Ökonomie in der Bildungsreformdebatte?

Natürlich führt die Wirtschaft manchmal zu einem Klima, in dem die Ökonomie an erster Stelle steht. In einer Übergangsphase können autoritäre Methoden kurzfristig sehr effektiv sein, wie es in Korea den Eindruck macht. Aber woher soll die Motivation in zehn, zwanzig oder vierzig Jahren kommen, wenn sich die Lebensverhältnisse der Menschen geändert haben?

INTERVIEW: SVEN HANSEN