Willkommen im Proteststurm

Nach dem Eklat von Straßburg steht Silvio Berlusconi auch in Rom in der Kritik. Nicht nur Medien und Opposition, auch die Partner gehen auf Distanz

Christdemokrat Follini sagt: „Besser wir lachen, um nicht heulen zu müssen“

aus Rom MICHAEL BRAUN

Der Eklat vor dem Europäischen Parlament am Dienstag wächst sich für Silvio Berlusconi zur innenpolitisch schwersten Krise seit Beginn seiner Amtszeit vor gut zwei Jahren aus. Der italienische Ministerpräsident muss sich nicht nur mit heftiger Kritik der Opposition und einem verheerenden Medienecho auseinander setzen, sondern auch mit deutlichen Absetzbewegungen zweier seiner Koalitionspartner.

Berlusconi hatte in seiner Replik auf die Debatte des Europaparlaments zunächst äußerst irritiert die gegen ihn geäußerten Vorbehalte wegen seiner Medienmacht und seines Umgangs mit der Justiz zurückgewiesen. „Bloß drei Gesetze“ habe er ad personam verabschieden lassen, um sich vor den Staatsanwälten in Sicherheit zu bringen, und seine TV-Sender seien in ihrer Berichterstattung natürlich „vollkommen unabhängig“. Dann aber griff Berlusconi tief in den Schmutzkübel. Zunächst beschimpfte er Martin Schulz von der SPD als „Kapo“, als KZ-Schergen. Den protestierenden Abgeordneten rief er zu, sie seien „Touristen der Demokratie“. Zu guter Letzt weigerte er sich beharrlich, sich für diese Entgleisungen zu entschuldigen. Eine Entschuldigung kam dann doch, aber nur beim deutschen Volk, nicht bei Schulz und den anderen Parlamentariern.

Die Mitte-links-Opposition – die Berlusconi konstruktive Unterstützung bei der Ratspräsidentschaft in Aussicht gestellt hatte – zieht nun eine vernichtende Bilanz. Eine „Via Crucis“, ein Kreuzweg, werde das europäische Halbjahr unter Berlusconi, kommentierte Oppositionsführer Francesco Rutelli; der angerichtete Schaden sei kaum wieder gutzumachen. Und Piero Fassino, Vorsitzender der Linksdemokraten, setzte nach, Berlusconi habe der „Glaubwürdigkeit unseres Landes einen schrecklichen Schlag versetzt“. Er habe die Pflicht, sich bei Schulz zu entschuldigen; der Grünen-Vorsitzende Alfonso Pecoraro Scanio verlangte den sofortigen Rücktritt des Premiers.

Ähnlich ist das Presseecho. Während die staatliche TV-Anstalt RAI in geradezu grotesker Manier den Vorfall unter den Teppich zu kehren sucht – RAI 1 strahlte in den Nachrichten nicht einmal den Ausfall Berlusconis gegen Schulz aus –, hagelt es harsche Kommentare auch in konservativ-liberalen Zeitungen. Der Corriere della Sera meint, Berlusconi habe in Straßburg politischen Selbstmord begangen mit seinem „unverschämten“ Auftritt. Il Messaggero kommentiert, Berlusconi habe „ein Image-Desaster jenseits der pessimistischsten Erwartungen“ vollbracht: „Wenn man den Ton nicht mäßigt, dann landet man schnell an den bei Umberto Bossi so beliebten Stammtischen, die den Vertretern des Parlaments von Straßburg jedoch einigermaßen fremd sind.“

Oppositionsführer Rutelli prophezeit Europa eine „Via Crucis“

Keine Überraschung dagegen ist die Tatsache, dass Berlusconi Beifall von den Medien seines eigenen Hauses erhält. Il Giornale stilisiert ihn zum Opfer eines „Anschlags“, einer „Falle“, einer „deutsch-französischen Verschwörung“, und Il Foglio behauptet, Berlusconi habe „sehr gut“ daran getan, Schulz als Kapo zu bezeichnen: „Von wegen Entschuldigung. Gegenüber dem Chef der italienischen Regierung redet man nicht so [wie Schulz es tat, die Red.].“

Aber selbst in den eigenen Reihen tun sich tiefe Risse auf. Gianfranco Fini, stellvertretender Ministerpräsident und Chef der postfaschistischen Alleanza Nazionale, ging in einer Erklärung auf Distanz, nachdem er schon während der Parlamentsdebatte erkennbar schockiert auf den Ausfall Berlusconis reagiert hatte. Er verstehe Berlusconis durch eine „Provokation“ ausgelösten Auftritt, aber er könne ihn nicht rechtfertigen, so Fini, der sich vor allem über das Ausbleiben einer Entschuldigung irritiert zeigte. Noch schärfer äußerte sich Marco Follini, Chef der Christdemokraten in der Regierung: Er könne Berlusconis Auftritt weder verstehen noch entschuldigen: „Besser wir lachen, um nicht heulen zu müssen.“ Solidarität erhielt der Premier dagegen aus seiner eigenen Partei und von der Lega Nord. Elio Vito (Forza Italia) befand, Berlusconi habe „mit Stil und Ironie“ reagiert, und gleich mehrere Lega-Politiker freuten sich über „die Kanonade auf die linken Gesellen“ im Europaparlament, denen – so Lega-Nord-Chef Umberto Bossi – Berlusconi endlich „mit Volkes Stimme“ geantwortet habe.