Vom Winterschlaf ins Sommerloch

Die Zukunft der Arbeit (Teil 7): Beim Besuch im Arbeitsamt drohen Bewerbungstraining und Weiterbildung – nur keine Joberwartung

Gibt es eine Zukunft der Arbeit? Muss es überhaupt eine Zukunft der Arbeit geben? Und was bedeutet Arbeit eigentlich? Die nächsten Folgen unserer Serie zum Thema handeln von gruppendynamischen Prozessen als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und dem Ende der Arbeitsteilung im Alltag der kreativen Selbstbestimmten

von SANDRA LÖHR

Im letzten Winter erreichten die Arbeitslosenzahlen in Berlin den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Im Dezember 2002 waren fast 300.000 Menschen in der Hauptstadt arbeitslos. Einer davon war ich.

Es ist super, arbeitslos zu werden. Noch dazu im Dezember. Erstens hat man endlich Zeit, in Ruhe seine Weihnachtseinkäufe zu erledigen, und zweitens kann man das Leben im Liegen ausprobieren, wie lange man den Winterschlaf durchhält, wie lange man nicht aufstehen muss, wenn man Telefon, Fernbedienung, Tee und belegte Schnittchen um das Sofa gruppiert. Einziger Haken an der Arbeitslosigkeit: Einige Leute, die schon früher das Vergnügen gehabt hatten, versicherten mir glaubhaft, dass man gleich in ein lästiges Bewerbungstraining einsteigen und sich ständig mit hartnäckigen Arbeitsberatern unterhalten müsse, sodass man gar nichts davon habe, arbeitslos zu sein.

Dies vor Augen schleppte ich mich also an einem grauen Wintermorgen zu der Anstalt mit dem großen roten A, um meine nicht mehr vorhandene Arbeit anzuzeigen. Hätte ich gewusst, was mich dort erwarten würde, hätte ich auch gleich im Bett liegen bleiben können. Gerät man heutzutage in die Maschinerie des Arbeitsamtes, wohnt man einer Art Performance bei, in der die verwendeten Zeichen wie A für Arbeit oder Arbeitsvermittlung schon längst etwas anderes bedeuten. Nämlich gar nichts.

Im Warteraum des Arbeitsamts, der für arbeitslose Akademiker reserviert ist, saßen an diesem Wintermorgen viele junge Menschen zwischen Ende zwanzig und Anfang dreißig mit teuren Turnschuhen an den Füßen herum. Sie versuchten auszusehen, als wären sie nur zufällig hier. Während ich kaum die Augen offen halten konnte, hatte eine Endzwanzigerin ihren Laptop mitgebracht und tippte eifrig vor sich hin.

Zuerst musste man sich bei einer Frau an einer Theke anmelden, die der Arbeitsamt-Architekt in einem kühnen Schwung mitten in den Raum hineingebaut hatte. Überwachen und Strafen: Trotz angestrengten Flüsterns des jeweils davor Stehenden verstand man jedes Wort. Immerhin verhinderten die Gespräche an der Theke, in denen zwar nie von Arbeit die Rede war, aber dafür meist von interessanten finanziellen Einzelheiten, dass man während der Wartezeit nicht einschlief.

Nach vier Stunden durfte ich endlich zu meinem Arbeitsberater. Er sah erschöpft aus. Mit matter Stimme erklärte er mir, dass er gar nicht für mich zuständig sei, sondern Frau Müller, die aber momentan krank sei, an die ich mich aber in Zukunft zu wenden hätte. Ich nickte. Ich fühlte mich nach der langen Warterei ohnehin, als müsste ich mich bald wieder hinlegen, und so brachten wir die Sache mit meiner Arbeitslos-Meldung schnell hinter uns. „Was wollen Sie jetzt machen?“, fragte er mich, während er müde auf seinen altertümlichen Bildschirm starrte. Ich war derart erschöpft, dass es mir nicht sofort wieder einfiel, aber dann murmelte ich etwas von Journalismus und fügte so kleinlaut wie möglich hinzu, dass ich ja eventuell ein, zwei gute Fortbildungskurse machen könne. Aber der Arbeitsberater machte mit seiner Hand eine kraftlose Bewegung. „Dafür momentan kein Geld“, nuschelte er. „In Ihrer Branche sowieso alles über Kontakte.“ Beim Abschied strengte er sich sehr an, versuchte, ein aufmunterndes Zwinkern hinzubekommen, und sagte: „Viel Glück.“

In den folgenden Wochen betrachtete ich misstrauisch meinen Briefkasten und ging nie ans Telefon, sondern rief nur zurück. Ich wartete auf die Aufforderung des Arbeitsamts, mich doch gefälligst zu bemühen, mich wieder in den gesellschaftlichen Arbeitsprozess einzugliedern, aber Frau Müller war wohl noch immer krank, und so passierte gar nichts, außer dass ich vom Arbeitsamt regelmäßig Geld überwiesen bekam. Im Frühling versuchte ich Frau Müller telefonisch zu erreichen, aber sie ging nie ans Telefon. Langsam begann ich, mir Sorgen zu machen. Nicht um mich. Das Leben im Liegen ist auch im Frühling okay, das Nachmittagsprogramm im Fernsehen ist gar nicht so uninteressant. Aber was war mit Frau Müller?

Ich rief schließlich die Telefonzentrale an, die mir aber auch nicht weiterhelfen konnte. „Ich darf Sie nicht mit einem anderen Arbeitsberater verbinden, nur mit der Nummer, die für Sie vorgesehen ist.“ – „Aber Frau Müller ist offensichtlich ernsthaft krank, ich habe seit Monaten nichts mehr von ihr gehört. Können Sie mir wenigstens sagen, wann sie wiederkommt?“ Die Stimme wiederholte ihren Satz, und ich legte auf. Irgendwie hatte sie seltsam blechern geklungen, so als würde ich mit einem Automaten telefonieren. Schließlich versuchte ich es sogar mit der angegebenen E-Mail-Adresse, aber der Arbeitsamt-Server wies jedes Mal die Existenz einer Frau Müller zurück. Bis heute habe ich nichts vom Arbeitsamt gehört. Das Leben im Liegen kann jetzt bei schönem Wetter im Park weitergehen.