Vom Fluchtpunkt zum Ballermann

Évian-les-Bains liegt am französischen Südufer des Genfer Sees. Die alkalischen Heilquellen sollen gegen Stoffwechselerkrankung helfen, das gleichnamige Tafelwasser des 6.900 Einwohner zählenden Kurorts ist weltberühmt.

32 Länder entsandten ihre diplomatische Vertreter zur Flüchtlingskonferenz vom 6. bis 15. Juli 1938: Argentinien, Australien, Belgien, Bolivien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Dänemark, die Dominikanische Republik, Ecuador, Frankreich, Großbritannien, Guatemala, Haiti, Honduras, Irland, Kanada, Kolumbien, Kuba, Mexiko, die Niederlande, Neuseeland, Nicaragua, Norwegen, Panama, Paraguay, Peru, Schweden, die Schweiz, die USA, Uruguay und Venezuela. Die polnische und die rumänische Regierung entsandten Beobachter, Italien und Südafrika lehnten es ab, an der Konferenz teilzunehmen.

Das auf der Konferenz gegründete Intergovernmental Committee on Political Refugees (IGC) – mit Sitz in London – tagte ergebnisarm bis Kriegsbeginn dreimal. Die Delegierten aus Deutschland, Otto Hirsch und Paul Eppstein von der Reichsvertretung der Juden in Deutschland, sowie Werner Rosenberg vom Hilfsverein der Juden in Deutschland, waren vom Reichssicherheitshauptamt ausgewählt worden.

Das Angebot der Dominikanischen Republik griff das American Jewish Joint Distribution Committee auf. Es begann ein Siedlungsprojekt vorzubereiten. Zu diesem Zwecke wurde die Dorsa, die Dominican Republic Settlement Association, gegründet. Als Ort bot der dominikanische Diktator Trujillo das ehemalige Gelände einer Bananenplantage in Sosúa im Norden der Karibikinsel an.

Hunderttausend Dollar bezahlte der Joint für das Trujillo gehörende Areal, das den „Wohltäter des Vaterlandes“ (wie der Diktator sich titulieren ließ) einst nur die Hälfte gekostet hatte. Am 30. Januar 1940 signierten die Vertreter der dominikanischen Regierung und der Dorsa das Abkommen, das den Siedlern samt Nachkommen ein Leben „frei von Belästigung, Diskriminierung oder Verfolgung“ garantierte.

Die erste Gruppe von Flüchtlingen kam bereits Mitte Dezember 1939 auf die Insel. Am 30. Juni 1943, vier Jahre nach der Évian-Konferenz, lebten 472 Siedler in Sosúa. Eigentlich sollte dort auch ein Kibbuz entstehen – aber das Projekt scheiterte.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs (und damit nach Ende des Holocaust) verließen viele jüdische „Colonos“ wieder die Insel – vornehmlich in Richtung USA. Die Zurückgebliebenen gründeten eine Wurst- und Käsefabrik. „Productos Sosúa“ als Warenhinweis steht in der Dominikanischen Republik noch heute für höchste Qualität.

In den Siebzigerjahren wurde die Dominikanische Republik zum touristischen Tropenparadies. Sonnenhungrige aus den USA und Kanada kamen zunächst, bald entdeckten auch die Deutschen den lang gestreckten Strand – und die Idylle von Sosúa.

Das Bild des jüdischen Karibikstädtchens, in dem Deutsch, manchmal mit Wiener Akzent, gesprochen wurde, veränderte sich im Laufe der Zeit nachhaltig. Lange Jahre galt das dominikanische Ferienzentrum als der „Ballermann der Karibik“.

HANS-ULRICH DILLMANN