Mit 1,01 Dollar aus der Statistik

In „absoluter Armut“ lebt laut UN jeder, der von weniger als einem Dollar täglich leben muss. Wer nur etwas mehr hat, ist aber immer noch hungrig

von KATHARINA KOUFEN

Nein, keine neuen Horrorzahlen über Aids in Südafrika. Auch nicht über Bürgerkriegsopfer im Kongo oder Hungertote in Äthiopien. Stattdessen ein Entwicklungsbericht, der mit einer guten Nachricht aufmacht: Das wichtigste Millenniumsziel der Vereinten Nationen wird wahrscheinlich doch erreicht. Die Zahl der Allerärmsten, also derjenigen, die mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, kann vermutlich bis 2015 im Vergleich zu 1990 halbiert werden, so das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP.

Die Ankündigung kommt für viele überraschend. So gingen beispielsweise die Kirchen noch vor einem Jahr davon aus, dass dieses Ziel „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ verfehlt wird. Die Kehrtwende ist zwei Ländern zu verdanken: China (siehe Text unten) und Indien. Beiden Ländern halfen direkte Investitionen aus dem Ausland, so der Bericht.

„In den letzten zehn Jahren holte die dynamische chinesische Wirtschaft 150 Millionen Menschen aus der Armut“, schreiben die Autoren, „und in Indien betrug das jährliche Pro-Kopf-Wachstum von 1990 bis 2000 im Durchschnitt stabile vier Prozent“. Allerdings sind nicht die Auslandsinvestitionen und das hohe Wachstum alleine für den Erfolg dieser beiden Länder verantwortlich. In China investiert die Regierung im Vergleich zu anderen Schwellenländern viel Geld in Bildung und Gesundheit und sorgt dafür, dass das ausländische Kapital zumindest teilweise im Land bleibt – etwa über Joint Ventures.

„In Indien war die Bekämpfung der Armut weniger gezielt und auch weniger erfolgreich“, so der indische UNDP-Mitarbeiter Santosh Mehrotra. Durch das hohe Wachstum sei aber das Gesamtniveau des Einkommens leicht gestiegen. „Viele Menschen leben jetzt eben mit ganz knapp über einem Dollar – aber sie sind immer noch arm.“ Die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt reißen also die Statistik raus.

Andererseits „verstecken sie hinter ihrem Erfolg die wirkliche Armut, die in vielen Ländern nach wie vor herrscht“, gibt Mehrotra zu bedenken. Das nämlich ist die schlechte Nachricht des Entwicklungsberichts: 59 von 175 Ländern haben nach wie vor „ernsthafte Probleme“ bei der Bekämpfung von Hunger, Krankheiten, Analphabetismus und Armut. In 21 Ländern sank der Entwicklungsindex, der Einkommen, Bildung und Lebenserwartung bewertet, während der 90er-Jahre sogar. Vierzehn davon liegen in Afrika, sieben in der ehemaligen Sowjetunion.

Das hat mehrere Ursachen. Hausgemachte, etwa die Korruptheit vieler Regierungen oder auch deren Desinteresse an einer Umverteilung zugunsten der Ärmeren. „Da gibt es Länder, wo die Gesundheitsausgaben steigen“, sagt Mehrotra. „Aber wenn man genau hinsieht, merkt man, dass fast alles Geld an ein oder zwei Krankenhäuser für die Mittelschicht in der Hauptstadt draufgeht.“ Aber auch externe Ursachen tragen zum Scheitern bei. Zum Beispiel der rapide Verfall der Weltmarktpreise für Baumwolle seit 25 Jahren – ein Ergebnis der Subventionspolitik der reichen Länder. Oder die Belastungen aus dem Schuldendienst an die Geberstaaten. „Es ist kein Zufall, dass 24 dieser Länder von einer hohen HIV-Rate betroffen sind, in 13 ein bewaffneter Konflikt tobt und 31 ungewöhnlich hohe Auslandsschulden haben“, heißt es im UNDP-Bericht. In den Ländern Osteuropas liegt der schlechte Entwicklungsstand am Zusammenbruch der Wirtschafts- und Sozialsysteme, von dem sich Teile der Region bis heute nicht erholt haben.

Die Autoren zeigen auch, dass es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem Reichtum eines Landes und seinem Entwicklungsstand gibt. Kuba etwa mit seinem geringen Pro-Kopf-Einkommen liegt auf Platz 52 des Entwicklungsindex – vor den reicheren Ländern Russland, Mexiko, Brasilien und weit vor der Türkei, die Platz 96 belegt. Saudi-Arabien hingegen hat ein fast dreimal so hohes Einkommen wie Kuba – und belegt Rang 73.

An der Spitze steht unverändert Norwegen. Deutschland steht an 18. Stelle. Allerdings geht es den 20 ärmsten Prozent in Deutschland schlechter als in allen anderen Industrieländern – bis auf die USA. Nach UNDP-Einschätzung ist das ein Ergebnis der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland. Im vergangenen Jahr lag die Bundesrepublik noch auf Platz 17, wurde aber von Irland verdrängt, dessen Pro-Kopf-Einkommen mittlerweile um mehr als 20 Prozent höher liegt als das deutsche.

Große Veränderungen sind also möglich – nicht nur bei den reichen Ländern. China und Indien sind die evidentesten Beispiele, aber der UNDP-Bericht führt auch das weniger bekannte Beispiel eines afrikanischen Landes an: Botswana schaffte es bis Mitte der 80er-Jahre, innerhalb von 15 Jahren, die Zahl der Einschulungen zu verdoppeln.